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Begleite die beiden ungleichen Freunde Vogelscheuche Mathilda und Schwatz Mats Piep auf der Suche nach Mathildas Mama, dem Mädchen, dass ihr Leben eingehaucht hat. Und wo eine Mama ist, da ist auch ein Zuhause. Gemeinsam ziehen die beiden los und stürzen sich in spannende Abenteuer, durchqueren geheimnisvolle Welten, wie zum Beispiel dem Ideenreich, reisen weiter mit dem Atemzug und treffen so allerlei seltsame Wesen und Menschen. Jedes Erlebnis schweißt die beiden enger zusammen, gemeinsam lösen sie schwierige Situationen, sodass ihre Freundschaft immer weiterwächst.
Hinreißende Illustrationen bringen Kinderaugen zum Leuchten, der Wortwitz zaubert den erwachsenen Vorlesern ein Lächeln ins Gesicht. Eine wunderschöne und außergewöhnliche Geschichte für Vorschüler und Grundschüler, die mitten ins Herz trifft.
Ein abseits gelegenes Chalet in den Alpen, ein einsamer, klarer, kalter See. Eine Frau, die auf ihren Geliebten wartet. Doch er ist plötzlich tot. Sie bleibt zurück, kann sich nicht von ihm trennen, schläft bei ihm, redet mit ihm, fährt tagelang mit dem Toten im Auto umher. Das ist der durchaus makabrere Hintergrund des neuen Romans von Adeline Dieudonné: Die Ich-Erzählerin beginnt Briefe an die Ehefrau des Geliebten zu schreiben. Sie versucht ihr Handeln zu erklären, möchte sich entschuldigen, hofft auf Verständnis. Warum hat sie ohne Rücksicht an der Beziehung festgehalten?
Die Briefe werden ihre Lebensbeichte. „Ein großer Wurf über Liebe und Wahnsinn“, heißt es in »Le Soir«, dem wir uns anschließen.
Sie sind nicht zu übersehen, diese einsamen und bunt geschmückten weisen Fahrräder, an so mancher Kreuzung dieser Stadt. Sie stehen da als stumme Erinnerung an verhängnisvolle, meist tödliche Ereignisse.
Aber wer kennt schon die ganze Tragik, das ganze Ausmaß, die Folgen eines solches Schicksals? Daniela Krien berichtet in ihrem neuen Buch „Mein drittes Leben“ darüber.
Eine glückliche Familie verliert durch eine grobe Fahrlässigkeit eines LKW- Fahrers ihre junge Tochter und mit einem Schlag verändert sich alles. Die Ehe zerbricht, „die anderen lebten weiter, unsere Zeit stand still“. Während der Mann Richard in eine neue Beziehung flüchtet, findet Linda immer weniger Freude am Leben, hält sich nur mit Tabletten aufrecht, bricht für einige Zeit aus dem normalen Leben aus und sucht die Einsamkeit. Eine gute Freundin von Ihr bezeichnet Linda in dieser Phase vielsagend als „distanziertester Mensch“, und sie selbst fragt sich „Wer bin ich dann noch ohne Mann, ohne Kind, ohne Job?“
Erst nach und nach, begünstigt durch Ablenkung im Garten oder durch lange Spaziergänge mit dem Pflegehund, aber auch immer wieder aufkommende schöne Erinnerungen an die einzige Tochter bringen Linda langsam in den Alltag zurück und sie stellt fest : „Ich lebe noch“. Ihr geliebtes Leipzig wird wieder ihre Heimat und auch das Verhältnis zu Richard bessert sich, was Linda guttut. Sie hat jetzt neuen Mut und Zuversicht und nimmt wieder mehr am Leben teil.
Daniela Krien zeigt mit viel Einfühlungsvermögen und Empathie auf, wie schmerzliche Verluste und Trauer einen Menschen beeinflussen können und wie schwierig es ist, darüber hinwegzukommen.
Jeetzenbeck in der Altmark – hier kommt Marcel her… Und hier ist er noch immer… Inzwischen 37 Jahre alt hat er nie den Absprung geschafft und eigentlich auch nie gesucht. Was wird aus einem Ort, wenn alle weggehen? Weggehen wie Steffi, seine Jugendliebe, die von einem Tag auf den anderen die Heimat verließ? Oder verschwinden, wie seine Schwester Vanessa, die sich in jungen Jahren mit dem Auto in die Friedhofsmauer katapultierte? Die Hinterbliebenen oder Übriggebliebenen fristen ein Dasein scheinbar ohne große Ambitionen. Wenn Marcel nicht die Wochenzeitung austrägt, verdient er sich mit der Arbeit in der Drehspießbude von Steffis Vater seine paar Euro zum Leben. Dabei scheinen die einzigen Gäste sein alter Schulfreund Pascal, der sich zunehmend dem Alkohol hingibt und dessen Vater Dirk, der von vielen nur als Altnazi angesehen wird, zu sein. Dabei war Jeetzenbeck einst der provinzielle Verbindungs- und Knotenpunkt in die weite Welt. Doch dem Ort widerfuhr, was mit vielen ostdeutschen Provinzorten geschah. Und davon erzählt Domenico Müllensiefen in seinem zweiten Roman. In zeitlichen Sprüngen zwischen der Gegenwart und den 1990ern und 2000ern geht es um das Aufwachsen in der ostdeutschen Provinz, dem Zurückblicken, dem zukunftsgerichteten Hoffen und Träumen oder einfach nur dem Leben, das einem geschieht und das einige Fragezeichen hinterlässt. Das Erzählen entwickelt sich als Spurensuche, als Versuch Lücken zu füllen, schwarze Flecken zu erleuchten, hinter Fassaden zu schauen, architektonisch, gesellschaftlich oder identitätsstiftend.
Seishi Yokomizo
Die rätselhaften Honjin-Morde
Blumenbar/Aufbau
Wer gerne wieder einmal einen richtigen klassischen Kriminalroman lesen möchte, sollte zu den Büchern von Yokomizo greifen. Ganz im Stile von Agatha Christie, ermittelt in dieser Reihe der Privatdetektiv Kosuke Kindaichi. Die Reihe startet als klassisch kniffliger Locked Room Mystery. Es geschah im Winter 1937 im Dorf Okamura. Die Ichiyanagi-Familie bereitet gerade die Hochzeit des ältesten Sohns vor, als ein maskierter Fremder in dem Ort auftaucht und alle nach den Ichiyanagis ausfragt. Und dann geschieht es in der Hochzeitnacht: ein lauter Schrei, Töne einer Koto und ein blutiges Katana im Schnee. Nun ist es an Kindaichi, den Mord am frisch vermählten Ehepaar im verschlossenen Schlafzimmer aufzuklären. Doch als er vor Ort eintrifft, kann keiner glauben, dass dieser chaotische, schäbige Bursche mit seiner Stotterei diesem Fall gewachsen ist. Aber Kindaichi weiß um seine Fähigkeiten und setzt seinen messerscharfen Verstand ein.
Wer Sherlock Holmes, Miss Marple und Columbo mag, der wird diese japanische Krimireihe verschlingen. Aktuell ist bereits der dritte Band der Reihe, „Das Dorf der acht Gräber“, auf Deutsch erschienen und auch dieser verspricht wieder viel detektivische Ermittlerkunst.
Darwyne ist ein 10-jähriger Junge. Er lebt in einem Slum am Rande des Dschungels. Doch damit nicht genug. Körperlich beeinträchtigt muss er Demütigungen von vielen Seiten ertragen. Die Abneigung seiner Mutter Yolanda, einer schönen, selbstbewussten Frau trifft ihn am härtesten. Denn er vergöttert seine Mutter und möchte nichts sehnlicher als ihre Liebe und Zuneigung. Um deren wechselnde Liebhaber ranken sich diverse Gerüchte. Sieben von ihnen sind im Dschungel verschwunden.
Die Sozialarbeiterin Mathurine wird auf Darwyne aufmerksam. So wie der Junge liebt auch sie den Dschungel mit seinen Tieren und Pflanzen, fühlt sich dort sicher und frei. Mathurine versteht, dass das Kind mit den Lebewesen kommunizieren kann, dass es „anders“ ist. Und mit der Zeit drängt sich der Verdacht auf, dass Darwyne etwas mit dem Verschwinden der Männer zu tun haben könnte. Der Thriller bietet mehr als Spannung. Er ist zugleich Sozialdrama und Porträt einer zerstörten Kindheit.
Der Autor Colin Niel studierte Evolutionsbiologie und Ökologie und lebte mehrere Jahre in Französisch-Guayana. Seine Romane wurden in Frankreich enthusiastisch gefeiert.
Saša Stanišić
Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne
Luchterhand
Das Leben als Möglichkeit der Möglichkeiten. Stellen Sie sich einen Raum vor, in dem Sie 10 Minuten einer Ihrer möglichen Zukünfte „anprobieren“ können. Falls sie Ihnen gefällt, können Sie diese einloggen und diese 10 Minuten werden irgendwann in Ihrem Leben Wirklichkeit. Über diese Idee des „Anproberaums“ philosophieren die Halbstarken in der sommerlichen Hitze des Weinberges nahe ihrer Betonwohngegend in der ersten Geschichte in Saša Stanišić’ neuem Buch. Dass diese Idee eine Art verbindenden roten Faden durch das Buch knüpft, wird erst gegen Ende ersichtlich. Ein Buch aus einzelnen Geschichten, verschiedenen Perspektiven und in einer, vom Autor inzwischen gewohnten, meisterlichen Manier mit der deutschen Sprache sowie den Funktionen und Möglichkeiten des Erzählers überhaupt spielenden Art, komponiert. Es sind Geschichten über das Erzählen, Erinnern, Erträumen, Erschaffen und Erleben, stets durchwoben von tiefer Menschlichkeit gepaart mit einem verschmitzten Lächeln. Und so ist dieses Buch mit dem unerhört langen Titel eben auch ein Werk zum Treibenlassen, Versinken, Träumen und Nachdenken, welches man am Ende mit einem Schmunzeln im Gesicht und Hoffnung im Herzen schließt.
Die bekannte Kolumnistin und Autorin Nele Pollatschek beschreibt in ihrem neuen Buch „Kleine Probleme“ die ziemlich groteske Lebenssituation eines Familienvaters, dem nur noch ein einziger Tag im Jahr bleibt, um eine ellenlange To-Do-Liste abzuarbeiten, denn es ist Silvester. Von seiner Frau und seinen beiden Kindern allein gelassen, geht es um „1000 unerledigte Dinge“, da ist z.B. ein Ikea-Bett aufzubauen, die Steuererklärung zu beenden, die Regenrinne zu reparieren und das Feuerwerk vorzubereiten. Er macht sich Mut und sucht Zuversicht in Weisheiten verschiedener Philosophen, über Walter Benjamin und Theodor Adorno zu Hannah Arendt und sogar zu Karl Marx. Dazu hat er immer die altersüblichen pubertären Nörgeleien seiner Kinder einerseits, aber auch so manche Aufmunterung seitens seiner Frau im Hinterkopf. Ein „Aufgeben gibt es nicht“, es ist wie eine Prüfung, die es zu bestehen gilt. Und es geht schließlich auch immer wieder um das sogenannte „Lebenswerk“. So kämpft er sich nach einigen Anlaufschwierigkeiten mit immer mehr Energie und Überzeugung Stück für Stück an das Ziel. Natürlich, und das ist kennzeichnend für die Tragik und Komik dieses Romans, passieren noch genug Pleiten, Pech und Pannen, aber das Endergebnis kann sich trotzdem sehen lassen und ist in Anbetracht der knappen Zeit mehr als beachtlich.
Nele Pollatschek schildert unterhaltsam und gekonnt ,wie es gelingen kann, trotz komplizierter Umstände Schwierigkeiten zu meistern.
Die Geschichte der beiden Schwestern und ihr Zusammenleben mit der alkoholkranken Mutter aus Caroline Wahls Debütroman „22 Bahnen“ hat viele begeisterte Leser:innen gefunden, die Tilda und Ida in ihr Herz geschlossen haben. Wurde diese Geschichte aus der Perspektive der größeren Schwester Tilda erzählt, folgen wir in „Windstärke 17“ Ida. Einige Jahre sind ins Land gegangen, Tilda ist von Berlin nach Hamburg gezogen und hat eine Familie gegründet, Ida hat sich dem Schreiben gewidmet, ist jedoch nach einer Ablehnung am DLL in Leipzig vorerst bei der Mutter wohnen geblieben. Der neue Roman setzt nun zwei Monate nach dem Tod der Mutter ein und Ida muss dringend erstmal aus der Wohnung im „traurigsten Haus der Fröhlichstraße“ heraus. Irgendwohin, nur nicht zur Schwester, landet sie schließlich auf der Ostseeinsel Rügen und kommt nach einigem Umherirren bei dem Kneipier Knut und seiner liebevollen Frau Marianne unter. Bei den beiden findet Ida Geborgenheit und Fürsorge, doch die Probleme ihres Lebens verschwinden durch die Flucht in den Norden und die Abgeschiedenheit des Insellebens natürlich nicht einfach und auch hier gibt es tragische Schicksalsschläge.
„Windstärke 17“ zu lesen ist, als würde man alte Freunde wiedersehen, die man ein paar Jahre aus den Augen verloren hat. Caroline Wahls lockere, frische und gegenwärtige Sprache erzeugt eine sehr authentische Nähe und Lebendigkeit, die wohl kaum jemanden nicht mit Ida fühlen lässt. Auch wenn „Windstärke 17“ problemlos als eigenständiger Roman funktioniert, taucht man am besten gleich hintereinanderweg in beide Romane ein.
Regina Hegner & Rüdiger Bertram
TOOOR! DIE 15 TREFFSICHERSTEN FUSSBALLGESCHICHTEN
Oetinger
Bald ist es wieder soweit und die Fußball-Europameisterschaft beginnt. Wer sich schon jetzt einstimmen möchte, hat mit diesem Buch die Gelegenheit dazu. Seid dabei, wenn der Superkicker Benno plötzlich weiche Knie bekommt – was ist, wenn er sein 13. Tor versemmelt? Er braucht dringend einen Glücksbringer und dennoch überkommt ihn die Angst und plötzlich hat er am entscheidenden Tag Halsschmerzen. Wird er dennoch seinem Team zum Sieg verhelfen können?
Diese und viele weitere Fußballgeschichten bringen Fußballstimmung und machen Lust auf Fußballschauen und -spielen. Sie handeln von Bällen, die hinter Mauern bei knurrenden Hunden verschwinden, dem Mut einfach zu fragen, ob man mitspielen kann und Pokalen die Vogelnester beherbergen: hier ist für alle etwas dabei.
Auf die Plätze, fertig… ANPFIFF!!
Für alle Fußballbegeisterten zum Vorlesen ab 4 Jahren, zum Mitfiebern und ersten Selberlesen.
Donald Fegans The Nightfly läuft, es regnet es mal wieder und ich schlage T.C. Boyles Kurzgeschichtensammlung I Walk Between the Raindrops zu: verblüfft, verärgert, amüsiert, enttäuscht, begeistert – vieles zugleich jedenfalls. Es scheint fast so, als löse jede der dreizehn Kurzstücke jenes (längst etablierten) Punks unter den US-amerikanischen zeitgenössischen Erfolgsautor:innen einen anderen Affekt (in mir) aus. Erstmal eine Stärke der Zusammenstellung, die kürzlich beim Hanser Verlag in Übersetzung erschienen ist – ins Deutsche übertragen von Dirk van Gunsteren und Anette Grube.
Zumal jene starken Affekte provoziert und angelegt scheinen – Boyle will mit dem, was er schreibt, den Leser:innen rücksichtslos vorsetzt, bewegen und etwas verändern. Das wird besonders deutlich, wenn es direkt oder indirekt um globale wie streitbare Themen wie Klimaerwärmung, die scheinbar abgeschlossene und größtenteils vergessene Covid-Pandemie, KI, Einsamkeit oder Suizid geht. Es geht nicht unbedingt darum nur zu gefallen, sondern da zu rütteln, wo es eben ungemütlich ist oder werden kann.
Lesenswert nicht nur für eingefleischte Boyle-Fans, sondern für alle, die die Kontroverse nicht scheuen und nicht unbedingt behaglich vom Tropfen des Regens an den Fenstern eingelullt werden wollen.
Maria steckt in einem Marketing-Meeting fest, freut sich jedoch schon auf ein erholsames Sommerwochenende mit ihren beiden Töchtern und Freunden in einer Berghütte. Doch auf dem Weg dorthin erreicht sie ein Anruf der Mutter. Der Vater hätte einen Unfall gehabt und läge im Krankenhaus. Maria müsse kommen, um auf den Hof und die demente Oma aufzupassen, während die Mutter ins Krankenhaus führe. Planänderung. Auf dem elterlichen Hof angekommen, versorgt Maria die Tiere sowie die Großmutter und es tauchen Erinnerungen an ihre Kindheit auf dem Lande auf. Maria Bogdahn erzählt in „Mühlensommer“ in wechselnden Kapiteln aus der Perspektive der kindlichen und der erwachsenen Maria. Schon früh mussten Maria und ihr Bruder Thomas mit anpacken. Ganz normal: Ein Leben auf den Bauernhof bedeutet viel Arbeit. Die nächsten Nachbarn sind weit entfernt und die Schule noch weiter. Erst in der Schule fällt ihr auf, dass es auch ein anderes Leben gibt. Eines mit teurer Kleidung und ohne Stallgeruch im Haar. Später möchte sie auch einmal in der Stadt leben. Zurückblickend stellt Maria jedoch fest, dass auch das ländliche Leben seine Vorzüge hat. Als schließlich ihr Bruder auf dem Bauernhof eintrifft, grübelt Maria, wann und warum sich zwischen den beiden, die als Kinder unzertrennlich waren, diese Distanz aufgebaut hat. Und durch den Unfall des Vaters kommt in der Familie auch die Frage auf, was mit dem Hof geschehen wird, wenn die Eltern ihn nicht mehr betreiben können.
Martina Bogdahn legt mit „Mühlensommer“ einen sehr lebendig und bildhaft geschriebenen Debütroman vor, der viele Momente zum Schwelgen und Schmunzeln birgt und in den man sich nur allzu gerne fallen lässt.
Kim Ho-yeon
Frau Yeoms kleiner Laden der großen Hoffnungen
Hanser blau
Frau Yeom führt in einer kleinen Nebengasse in einem alten Stadtteil Seouls einen kleinen 24-Stunden-Laden. Hier kreuzen sich die Wege vieler verschiedener Menschen, die alle ihr Päckchen zu tragen haben. Als ihr das Portemonnaie gestohlen wird, erweist sich der Obdachlose Dok-go als hilfsbereit und so nimmt sie sich ihm an und er arbeitet fortan in der Nachtschicht im Laden. Die anderen Angestellten und teils die Gäste begegnen ihm mit Vorurteilen, aber hinter Dok-go steckt mehr. Egal welches Problem ein jeder mit sich herumträgt, er hört zu und weiß auf seine ganz besondere Art mit nur kleinen Gesten zu helfen. Sei es das schlechte Verhältnis zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern, Unzufriedenheit im Beruf oder das eigene hitzige Temperament, was immer im Weg steht: einfühlsam gibt er ihnen wieder Hoffnung und lenkt sie in die richtigen Bahnen. Und viel wichtiger, er hilft sich damit auch selbst und der Leser erfährt nach und nach das Geheimnis hinter Dok-gu.
Kim Ho-yeon hat hier ein sehr lesenswertes, warmherziges und berührendes Buch geschrieben. Jeder der gerade wieder genug vom Weltschmerz hat, sollte dieses Buch lesen, denn es berichtet von Trost und Heiterkeit selbst unter den schwierigsten Umständen.
Eine beschauliche Kleinstadt namens Aschersburg ist Schauplatz des Romans von Kai Hensel. Der Kater Valentin ist verschwunden. Er gehört der beliebten Biologielehrerin Katja. Für sie ist er Ausgleich zum Beruf, Ruhepol und Seelentröster. Aber ist Katja wirklich seine Besitzerin? Die Schülerin Ricky vermutet ein Geheimnis um Valentin. Und da sie gerade einen spektakulären Artikel für das örtliche Tageblatt, wo sie ein Praktikum absolvieren möchte, schreiben muss, versucht sie, Valentins Herkunft zu ergründen.
Und nicht nur Katja hat etwas zu verbergen. Enno Schrader, Vertrauenslehrer und ein geschätzter Kollege verhält sich seltsam. Direktor Krugmeyer steht vor seiner Frühpensionierung und muss einen Nachfolger finden. Friedrich, Rickys Klassenkamerad, lebt im Gegensatz zu Ricky im Luxus, aber ist er glücklich? Gemeinsam versuchen die beiden Valentin zu finden.
In dieser Geschichte steckt viel mehr als nur die spannende Suche nach einem Katzentier. Die Kleinstadt ist Beispiel für gesellschaftliche Probleme. Geschickt gelingt es Hensel diese Themen in die Handlung einzuflechten. Ein Roman, der für viele Leser:innen geschrieben wurde.
Sabine Bohlmann
Willkommen bei den Grauses – Wer ist schon normal?
Planet!
„Willkommen bei den Grauses – Wer ist schon normal“ ist der 1. Teil einer neuen Reihe der bekannten Kinderbuchautorin Sabine Bohlmann.
Die neunjährige Ottilie beobachtet in einer nebligen Nacht zu Beginn der Sommerferien, wie in das alte Haus gegenüber 5 Personen einziehen. Sie heißt die neuen Nachbarn am nächsten Tag mit einem Kuchen willkommen und stellt fest, irgendetwas mit denen stimmt nicht. Die Grauses sind nämlich eine bunt zusammengewürfelte Truppe aus magischen Kreaturen, die aus einer Stadt für andersartige Wesen kommen und nun in der Menschenwelt als Familie leben sollen.Ottilie möchte der Familie helfen, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden und ein aufregendes Abenteuer beginnt.
Sabine Bohlmann ist wieder ein spannendes und lustiges Buch gelungen. Die einzelnen Kapitel haben fröhliche Überschriften. Die vielen schwarz-weiß Bilder von Daniel Steudtner runden das ganze ab. Dieses Buch ist für Leser ab 9 Jahre gedacht, es eignet sich aber auch super zum Vorlesen.
„Golden Bay – How it feels“ ist der Auftakt der neuen Trilogie der Bestsellerautorin Bianca Iosivoni.
Als Ember vor 5 Jahren die kanadische Insel Golden Bay verließ hat sie sich geschworen, sich nie mehr zu verlieben und nicht mehr an die schrecklichen Ereignisse zurückzudenken. Doch bei der Rückkehr in die Heimat wird sie von alten Erinnerungen überwältigt. Auf der Hochzeit ihrer Freundin trifft sie ausgerechnet auf Holden, der ihr vor 5 Jahren das Herz gebrochen hat. Plötzlich sind die tiefen Gefühle wieder da, aber auch Wut und Enttäuschung. Obwohl sich Ember dagegen wehrt, kommt sie doch nicht gegen Holdens Anziehungskraft an. Man erfährt in kleinen Rückblenden mehr aus der Zeit von vor 5 Jahren, sodass sich Stück für Stück das Puzzle zusammensetzt.
Das Buch ist spannend, gefühlsintensiv und aufwühlend und endet mit einem Cliffhänger.
Es ist ein gelungener Auftakt dieser Reihe und man kann gespannt sein, wie Ember und Holdens Geschichte weitergehen wird.
Der neue Thriller der Bestsellerautorin Ruth Ware greift das aktuelle Thema Cyperkriminalität auf. In „Zero Days“ geht es um Jacintha Cross, genannt Jack, und ihren Mann Gabe, sogenannte Pentester, die von großen Unternehmen engagiert werden, um Sicherheitssysteme auf Schwachstellen zu prüfen. Wir begleiten Jack bei einem Einbruch in eines dieser Unternehmen. Im Ohr hat sie ihren Ehemann Gabe, der ihr Hinweise gibt.
Doch als Jack das Gebäude verlässt, wird sie festgenommen. Es dauert einige Stunden bis sie der Polizei beweisen kann, dass sie nur ihren Job gemacht hat. Als sie zu Hause ankommt, findet sie Gabe ermordet an seinem Schreibtisch. Verzweifelt und fassungslos bricht sie zusammen und ruft die Polizei. Schnell stellt sie fest, dass die Polizei sie als Hauptverdächtige sieht. Ihr bleibt nichts anders übrig als zu fliehen und die Suche nach dem Mörder ihres Mannes selbst in die Hand zu nehmen. Es beginnt eine packende Verfolgungsjagd, bei der Jack an ihre Grenzen geht.
Ruth Ware ist mit diesem Buch wieder ein sehr spannender Thriller gelungen, der einen von Anfang an fesselt und bis zur letzten Seite in Atem hält.
Das neue Buch von Kathrin Aehnlich heißt „Der König von Lindewitz“. Die sächsische Autorin schreibt über Lindewitz, einen kleinen fiktiven Ort in Ostdeutschland, wo jeder jeden kennt, alle einen lustigen Spitznamen haben und man nach dem Motto lebt „Einmal Lindewitz, immer Lindewitz“.
Wie überall in Deutschland, verändert sich Lindewitz nach der Wiedervereinigung, alles ist in Bewegung. Mehr und mehr verbreitet sich auch rechtes Gedankengut und ruft natürlich auch die linke Szene auf den Plan. Der geliebte Ort, ohnehin wenig saniert und vernachlässigt, wird zum „Kampfplatz“.
Das Miteinander der Bewohner wird auf eine harte Probe gestellt. Immer wieder werden Vergleiche hergestellt zu früheren Zeiten, die keiner zurückhaben will, in der es aber auch viele schöne gemeinsame Erlebnisse gab. Das trifft auch auf die zahlreichen abenteuerlichen Familienschicksale zu, die mit viel Empathie geschildert werden. Alle landen irgendwann bei Bruno, dem Totengräber, und oft wird erst beim letzten Gang so manches Geheimnis gelüftet. Deshalb ist er der König von Lindewitz.
Es ist ein Roman, der auf teils amüsante, aber zugleich auch sehr ernsthafte Weise auf aktuelle Probleme in unserem Land aufmerksam macht.
„Das Philosophenschiff“ heißt der neue Roman von Michael Köhlmeier. Solche Schiffe, die es wirklich gab, waren ein Versuch der Sowjetmacht, auf diese Art und Weise unangenehme Personen loszuwerden.
Die berühmte Architektin Anouk bestellt den Schriftsteller zu sich, um zu berichten, wie sie als junges Mädchen auf solch ein Schiff gebracht wurde. Der Leser erfährt eine aufregende Lebensgeschichte einer Hundertjährigen. Sie wächst mit dem Stalinismus auf, lernt damit zu leben und mit ihren hochangesehenen Eltern ein halbwegs normales Leben zu führen. Aber die Familie knüpft immer wieder Freundschaften, die gefährlich sind, Beziehungen auch zu Personen, die mit der neuen Ordnung in Russland nicht einverstanden waren.
Auf diesem „Luxusdampfer“, nur zu zehnt, herrscht eine absolute Ungewissheit und als das Schiff mehrmals einige Tage still steht, auch Angst. Und da ist noch der seltsame Passagier auf dem Oberdeck, soll das wirklich Lenin sein, der große Lenin, der die Verantwortung trägt für alles? An dieser Stelle vermischt sich Wahrheit mit Fiktion, es bleibt eine Biografie, die man sich auch heute wieder bei so viel Flucht und Vertreibung vorstellen kann.
Spannend dargestellt ist die Beziehung der Greisin zum Autor. Aus anfänglicher Neugier, gepaart mit Skepsis, wird mehr und mehr Respekt, Vertrauen und Freundschaft.
Michael Köhlmeier ist wieder ein Roman gelungen, der sofort zum Bestseller wurde.
An einem Abend im Winter 1983 ist an der Glienicker Brücke in Berlin alles bereit für einen spektakulären Gefangenenaustausch. Rem Kukura, hoher KGB-Offizier und Doppelagent, wird freigelassen und der Sohn eines Politbüromitgliedes darf wieder in die Sowjetunion. Nina Winter muss diesen Austausch begleiten, weil sie die Einzige ist, die Kukura alias Pilger identifizieren kann. Sie hat mit ihm zusammengearbeitet. Sie war die Person, die Pilger als Führungsoffizier wollte. Nina war jung, unerfahren und hatte ihre Arbeit beim Geheimdienst gerade erst begonnen. Der Auftrag in der Sowjetunion ist ihre große Chance. Doch dort trifft sie auf einen Widersacher, der zum Todfeind wird.
Andreas Pflüger kennt sich sehr gut aus bei den Geheimdiensten. Geschickt werden Tatsachen und Fiktives miteinander verwoben. Herausgekommen ist ein spannender Agententhriller aus der Zeit des Kalten Krieges.
Aguo, Textschelm und Protagonist in Xi Xis Kultroman »Meine Stadt«, der bei Suhrkamp nun in deutscher Übersetzung vorliegt, ist ein eigenwilliger Stadtführer durch eine eigenwillige Stadt. Hongkong in den 1970er Jahren: Traum und Sehnsuchtsort, Melting Pot und Existenzlabor; vor allem aber eine Metropole mitten im Sprung in eine neue Zeit. Für diese stehen nicht zuletzt die Kilometer an Telefonkabel, die sich durch die Stadt ziehen und im wörtlichen Sinne eine Verbindung herstellen. Und entlang dieser Verbindungslinien, ihren Knotenpunkten und manchmal auch hinein in Sackgassen irren die Leser:innen an der Seite von Aguo, jenem leidenschaftlichen Elektroinstallateur und vor allem begeistert stolzen Bewohner Hongkongs. Ein surrealistisch anmutender Stadtroman, der die Leser:innen dorthin bringt, wo sie eigentlich vielleicht nicht hinwollten, dann aber doch einsehen müssen, dass es sich lohnen kann, sich im Strom Hongkongs treiben zu lassen. Sprudelnd, plappernd und verzückend – eine Leseerfahrung, die ein Verlorengehen nicht ausschließt. Aber selbst wenn – einfach umblättern, denn auf der Seite sitzt Aguo sicher wieder breit lächelnd und holt einen zurück.
Bei allem Aberwitz und aller Schelmerei ist »Meine Stadt« aber – auch darin knüpft es an die europäische Tradition des Surrealismus an – auch ein politisches Buch, das von Flucht und Vertreibung ebenso wie von den Schwierigkeiten erzählt, woanders eine neue Existenz aufzubauen.
KATAPULT & Rocket Beans
100 Karten über Gaming
und wie es die Welt beherrscht
Katapult
Die Infografiken von Katapult können inzwischen getrost als Kult beschrieben werden. Angefangen im Internet, kam es schnell zum Katapult-Magazin und schließlich zur Gründung des Katapult Verlages. Das Spektrum der sowohl informativen Fakten wie skurrilen Einzelheiten lässt von der Politik und Wirtschaft über die Linguistik bis zu den Sozial- und Geschichtswissenschaften kaum ein Feld aus. Der neueste Coup ist das in Zusammenarbeit mit den „Rocket Beans“ herausgebrachte Buch „100 Karten über Gaming“. Von der Evolution der Spielekonsolen über Entwicklerstudios bis zu verschiedenen Gamingwelten findet sich hier eine bunte Mischung kurzweiliger und unterhaltsamer Infografiken gepaart mit kurzen Texten, die das Herz von Gamingnerds und Retrofans höher schlagen lässt. Also Controller aus der Hand und Buch aufgeschlagen!
Wem das Thema nun so gar nicht zusagt: Es gibt von Katapult beispielsweise auch Bücher über Sprache, Flaggen, Sex, die Ukraine, kuriose Grenzen und „Wahre Vorurteile über deine beknackte Heimat“. In diese sowie ein paar philosophische Titel und Kinderbücher des Katapult Verlages können Sie aktuell bei uns hineinschauen.
Henry Kolonkos Hobby ist es die Besitzer von verlorengegangen Dingen zu suchen und ihnen diese wieder zurückzubringen. Doch nachdem er Herrn Zikowski mit seinem Gehstock wieder vereint hat, findet er unfreiwillig die quirlige Pippa, die gerade in seinem Haus eingezogen ist. Lebte er erst zurückgezogen in seiner eigenen Welt, kehrt so der Trubel in sein Leben. Pippa ist nun immer mit dabei, sie werden Freunde und sie unterstützt sein Hobby. Aber dann kommt der Tag, an dem sie auch mal etwas anderes unternehmen möchte und es kommt zum Streit.
Warum ist ihm das Finden so wichtig?
Maja Konrads Buch behandelt kindgerecht und einfühlsam Themen wie Freundschaft, aber auch Verlust und Veränderung welche unterhaltsam und originell präsentiert werden. Es lädt zum Nachdenken und Gesprächen ein und ist geeignet ab 8 Jahren. Die kurzen Kapitel sind perfekt zum Selbstlesen. Auch erkennt man den eigenen Lesefortschritt am Bildrand: ein erst leeres Glas füllt sich pro Kapitel mit einem weiteren Knopf. Leipziger Leser*innen werden sich auch gleich heimisch fühlen, denn die Geschichte spielt im Süden Leipzigs. Die Autorin hat sich hier wohl von ihrem aktuellen Wohnort inspirieren lassen.
Lisa-Marie Dickreiter und Andreas Götz
Karlchen hilft allen, ob sie wollen oder nicht
Arena
Habt ihr Lust Karlchen kennenzulernen? Karlchen lebt zusammen mit ihrem kleinen Bruder, Mama, Papa und Opa in einem kleinen Dorf im Tal. Hier gibt es nur eine Hand voll weiterer Höfe und die beiden Kinder sind die einzigen dort. Aber wer jetzt denkt, das wird richtig langweilig, der hat sich geschnitten. Karlchen, was übrigens der Spitzname von Karla ist, solltest du unbedingt kennenlernen. Sie ist super hilfsbereit und ist überall zur Stelle, wo sie nur helfen kann. Doch leider ist ihre Art zu helfen, nicht immer die gängigste Variante, so dass sie sich oft Ärger einheimst und in der Wäschekammer landet, bei all dein einzelnen schwarzen Socken, die noch sortiert werden wollen.
Auf ihrem Hof soll nun erstmals eine Ferienwohnung vermietet werden und dieses neue Abenteuer startet direkt mit einer zerbrochenen Terrassentür. Die ersten Gäste bringen zwei Kinder mit, aus der Stadt, die höllische Angst vor Tieren haben? Was fällt Karlchen da als erstes ein? Eine Konfrontationstherapie in Form eines Eimers Stinkekäfer… dass das natürlich schief gehen muss, versteht sich von selbst. Aber Karlchen gibt nicht auf und hat schon die nächste Idee, wie sie den Kindern helfen kann.
Ein lustiges und turbulentes Sommerabenteuer über Freundschaft und Familie im Stil von Astrid Lindgrens Michel aus Lönneberga. Mit den kurzweiligen und kurzen Kapiteln ist das Buch ideal zum Vorlesen ab 5 Jahren. Auch für Leseanfänger, die sich schon an längere Geschichten wagen, gut zum selber lesen geeignet.
Stefanie Sargnagel erhält ein Angebot aus den USA. An einem College in Iowa soll sie Creative Writing unterrichten. Und so tauscht sie ihre Wiener Komfortzone – mit Mitte Dreißig hat sie es sich schon ein wenig behaglich darin eingerichtet – gegen den ländlichsten aller US-Bundesstaaten. Die Kleinstadt Crinnell, Mitten im Nirgendwo, wird für kurze Zeit Mittelpunkt ihres Lebens. Mit von der Partie ist Musiklegende Christiane Rösinger. Gemeinsam erkunden die Frauen das Nichts.
Aus ihren Erlebnissen und Begegnungen hat Stefanie Sargnagel ein Buch gemacht. Unverwechselbar, ehrlich, schonungslos, feministisch und unglaublich unterhaltsam erzählt sie ihre Geschichten. Die kommentierenden Fußnoten Rösingers „korrigieren“ den Text.
Kalifornien – der sonnige Staat der Reichen, Schönen und Sorglosen. Mag sein – für manche. Bran gehört nicht dazu. Frühzeitig entschwindet ihr Vater nach Australien und als schließlich noch die Mutter in ein buddhistisches Ashram zieht, verbleibt die 10-jährige Bran bei dem Ex-Freund der Mutter, der mit seiner Familie nicht nur eine Baumschule betreibt, sondern zudem auch einige skrupellose Machenschaften. Ein Leben voller Arbeit in prekären Verhältnissen steht ihr bevor. Doch der Beitritt zur Redaktion der schulischen Literaturzeitschrift und die Freundschaften, die sich daraus ergeben, eröffnen ihr schließlich eine neue Welt. Als die Highschool zu Ende geht und die Freunde sich auf verschiedene Colleges verteilen, offenbaren sich jedoch wieder die Klassenunterschiede. Denn Bran kann sich kein College leisten. Wird ihr dennoch der Sprung in ein anderes Leben gelingen?
„Avalon“ ist ein Entwicklungsroman, gespickt mit Sozialkritik, märchenhaften Anleihen sowie Fantasy- und Philosophieeinflüssen. In den ironischen Reflexionen auf ihr wechselvolles Leben zwischen Baumschule, kriminellen Bikergangs und geisteswissenschaftlichen Konversationen erzeugt Brans Erzählung einen ganz besonderen Sound, der sowohl abenteuerlich-realistisch als auch mythenhaft-magisch daherkommt.
Denkt man an Immanuel Kants philosophische Texte, so sind diese nicht nur komplex, sondern auch kompliziert. Seine verschachtelten Sprachkonstruktionen lassen Studierende die Texte mitunter sogar auf Englisch lesen, da die Übersetzungen sprachlich einfacher gestaltet sind. Umso schöner, dass Felix Heidenreichs Kant-Roman genau das Gegenteil ist – kurzweilig, unterhaltsam und durchaus witzig. Der Roman zeigt nicht nur auch die schrulligen Seiten Kants auf, sondern nimmt ebenso zwei weitere Personen aus seinem engstem Umfeld in den Fokus, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zum einen wäre dies Martin Lampe – ehemals Soldat und nun Kants Diener. Vom Philosophen unterschätzt sowie schlicht als dumm abgestempelt und vorgeführt, eignet sich dieser schließlich Kants Texte an und stört fortan in jeder sich bietenden Situation mit nur scheinbar törichten Zwischenfragen die Gespräche seines Herren, um diesen vorzuführen. Zum anderen gibt es Kapitel, die aus der Sicht Andreas Wasianskis erzählt werden – enger Vertrauter und Unterstützer, jedoch durchaus mit eigenen Absichten, sowie später erster Biograph Kants. Er verehrt zwar die Philosophie des Aufklärers, sieht allerdings auch einige Probleme in die sich Kant zu Verrennen droht, und will letztlich am Ruhm des Philosophen partizipieren. Ausgehend vom Tode Kants, zieht der Roman Schleifen und gibt episodenhafte Einblicke in Kants Leben und Denken. Dabei zeigt er ihn sowohl als großen Denker als auch späten Zweifler an seiner eigenen Philosophie. Die Multiperspektivität und die mitunter skurrilen Eigenheiten aller Protagonisten erzeugen ein amüsantes Wechselspiel und machen den Roman zu einer ebenso erhellenden wie unterhaltsamen Lektüre.
Bisher wurde keiner Autorin, keinem Autor zweimal der Deutsche Buchpreis verliehen, wenn auch Autor:innen, bzw. deren jeweils neuster Titel, mehrfach nominiert wurden. Und so ging dieses Jahr der Preis auch nicht an Terézia Moras, deren engagierter neuer Roman »Muna oder Die Hälfte des Lebens« es erneut auf die Shortlist schaffte (2013 erhielt sie mit »Das Ungeheuer« den Preis). Einige Kritiker:innen kritisierten die Entscheidung der Jury, nach der der Preis an den österreichischen Schriftsteller Tonio Schachinger, für »Echtzeitalter«, ging. Darunter waren Stimmen, die die Wahl als ‚wenig mutig‘, bzw. ‚uninspiriert‘, von daher ‚überraschend‘ bezeichneten. Gab es doch deutlich reizvollere Texte, auf die man sich hätte einigen können. Einer davon eben Terézia Moras Roman über eine schwierige Beziehung, zwischen Muna und Magnus, und vor allem über Abhängigkeitsverhältnisse, die mit (fast) jeder Beziehung auftreten – mal bleiben diese harmlos, Umgänge damit werden verhandelt und gefunden; mal aber erschüttern sie auch mehr, als wieder zu kitten wäre oder führen, wie im Fall von Muna und Magnus, zu Gewalt und Verletzungen. Fast immer werden sie jedoch unterschiedlich (Alter, Geschlecht, Gender, Klasse als Faktoren) wahrgenommen, nicht zuletzt, weil sie in immer verschiedenem Gewand auftreten und nicht immer als solche klar benennbar sind: Was ist Effekt, was Ursprung, was Symptom und was Ursache. Als Auftakt einer Trilogie über Weiblichkeit erzählt Moras von eben solchen Beziehungsdynamiken, die größer sind als die jeweilige Beziehung, weil sie strukturell in unserer Gesellschaft ankern. Sehr lesenswert!
Die Mark Meißen im 13. Jahrhundert. Als Fürst Dietrich stirbt, ist sein Sohn Heinrich ist erst 3 Jahre alt. Seine Mutter, die Markgräfinwitwe Jutta von Thüringen, versucht das Erbe ihres Sohnes bis zu dessen Mündigkeit zu retten. Hilfe erhält sie dabei von Lukas von Freiberg.
„Der Silberbaum“ ist der spannende Auftakt der neuen Reihe von Sabine Ebert. Historisch belegte Personen und fiktive Figuren agieren in diesem Roman und lassen so ein faszinierendes Jahrhundert deutscher Geschichte aufleben. Und auch die Helden aus dem „Hebammen-Universum“ trifft der Leser wieder.
Benjamin Schreuder & Jan Saße
Enygma. Der verschollene Schatz
Diogenes
Ferientag Nummer 10, es ist trocken und heiß und Pit ist einfach nur gelangweilt. Selbst sein Lieblingskonsolenspiel kann ihn nicht mehr ausreichend unterhalten. Er beginnt sogar schon die Schule zu vermissen. Warum mussten seine besten Freunde Bea und Eule auch gleich zu Anfang der Ferien verreisen? So hat er nicht mal Lust auf seinen 11 Geburtstag, den er wohl allein mit seinen Eltern feiern werden muss. Aber zum Glück kommt es anders. Beide Freunde tauchen überraschend einen Tag vor seinem Ehrentag auf und mit ihnen eine geheimnisvolle Schriftrolle, die eine mysteriöse Einladung enthält, die erst einmal entschlüsselt werden muss. Und siehe da, ihre Lösung scheint richtig zu sein, denn am Zielort werden sie von einer Limousine aufgesammelt und an einen unbekannten Ort gebracht und schon stecken sie mitten drin im Abenteuer. Raum für Raum rätseln sie sich im Escape-Room-Stil weiter und entdecken immer neue Geheimnisse. Wer hat sich dieses Spiel bloß ausgedacht und verbirgt sich in diesen Mauern wirklich ein echter Schatz?
Dieses spannende interaktive Leseerlebnis richtet sich mit seinem Konzept vor allem an Wenigleser. Durch die vielen Rätsel und die Spannung steigt die Begeisterung am Lesen. Man will ja schließlich wissen, ob man das Rätsel selber gelöst hat. Um das rauszufinden, muss man einfach nur weiterlesen. Also nur Mut und ran an die Rätsel. Für Wenig- aber auch Vielleser und alle die ihr Köpfchen ein wenig anstrengen mögen ab 8 Jahren.
In „California Girl“ erzählt die 14-jährige Timey von ihrer Kindheit und Jugend im turbulenten Kalifornien der 1980er Jahre. Nachdem ihre Eltern sich scheiden ließen, pendelt sie zwischen ihrer Künstlerinnenmutter in L.A. und dem Physikprofessorenvater in Berkeley. In episodenhaften Kapiteln sucht die Heranwachsende nach sich selbst und einer Verortung zwischen diesen beiden unterschiedlichen Lebenswelten. Aufmüpfig und forsch erzählt Timey von Freundschaft und ersten sexuellen Erfahrungen, vom Aufstand gegen die Erwachsenen, dem Erleben von Musik und (leichten) Drogen, aber auch von Missbrauchsfällen. Einiges bleibt angedeutet und vieles bleibt lückenhaft. Die Leerstellen des an vielen Stellen nur angeschnittenen Gesellschafts- und Sittenbildes werden im Anschluss in einem 50-seitigen Fußnoten-Nachtrag in kurzen thematischen Texten der Autorin mit Wirklichkeitsfragmenten aufgefüllt. Dieser Nachtrag ist für die Handlung des rasanten Romans zwar keineswegs notwendig, erweitert diesen jedoch durch einen Perspektivwechsel und füttert das Setting mit interessanten Hintergrundinformationen aus der amerikanischen Kaliforniens.
Larissa Reissner, diese aufsehenerregende – und manchmal vielleicht etwas zu schillernde – Protagonistin in Steffen Kopetzkys neuem Roman »Damenopfer« will die Revolution, damit die Welt verändern und die Befreiung der Unterdrückten weltweit. Große Ambitionen und mehr oder minder – aber, wie man beim Lesen herausfinden wird, eben nur mehr oder minder – zum rechten Zeitpunkt am richtigen Ort. In diesem Fall: 1922 in Kabul, in Hinterzimmern der Macht, neben Geheimdokumenten und in Gesellschaft von anderen Revolutionären, Militärstrategen oder Politikern. Der richtige Ort und die richtige Zeit ändern sich aber durchaus sprunghaft und so führt uns Kopetzky in diesem biografischen Roman von Moskaus, über St. Petersburg und Wiesbaden nach Leipzig und spannt so ein Netz aus Orten, Personal, Geschichten und Gerüchten aus und in die hinein die verschiedenen, komplexen Handlungsstränge sich ent- oder verwickeln.
An der Seite von Reissner wird einem in jedem Fall nicht langweilig. Eine Tour de Force durch das globale Machtgewirr des frühen 20. Jahrhunderts. Gut gegen zu lange Tage!
Tilda lebt mit ihrer kleinen Schwester und der Mutter im traurigsten Haus der Fröhlichstraße. Vom Vater keine Rede, die Mutter – dem Alkohol verfallen – meist lethargisch auf der Couch oder für ein paar Tage reumütig um Entschuldigungen bemüht. So kümmert sich Tilda neben Mathematikstudium und Job an der Supermarktkasse auch um den Haushalt und die Fürsorge der 10-jährigen Ida. Einzig beim abendlichen Schwimmen im Freibad und dem Abtauchen auf den Beckenboden kann sie den Kopf etwas freibekommen. Dort taucht eines Tages Viktor auf und beschwört alte Erinnerungen an dessen jüngeren Bruder Ivan herauf, mit dem Tilda früher befreundet war. Was zu dessen Verschwinden geführt hat, kommt nur Stück für Stück ans Licht. Doch die Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit ist nicht das einzige, was Tilda und den Lesenden im weiteren Romanverlauf beschäftigt. Ein Promotionsstipendium in Berlin verspricht ihr endlich die Möglichkeit aus der Provinz und ihrem bisherigen Leben auszubrechen. Doch wer kümmert sich dann um Ida?
Caroline Wahls Debütroman hat die besten Voraussetzungen für eine melancholische Geschichte. Bezeichnend ist jedoch, dass es eben keine ist. Trotz der heiklen Situation zu Hause, steckt so viel Liebe in der Beziehung zwischen Tilda und Ida, dass die Stärke der beiden Schwestern die Schwäche der Mutter locker aushebelt.
Elina Penner wurde in der Sowjetunion geboren und kam 1991 als Vierjährige nach Deutschland. Sie hat in Bayern und Berlin studiert, war in den USA. Jetzt lebt sie wieder in Ostwestfalen, hat Kinder und betreibt das Online-Magazin „Hauptstadtmutti „. Und von ihrer Elternschaft erzählt sie in ihrem Sachbuch-Debüt „Migrantenmutti „. Elina Penner stellt fest, dass sie anders erzieht, sich ihre Art Mutter zu sein unterscheidet von der ihrer nicht migrantischen Freundinnen. Sie folgt keinen Insta Moms liest keine Ratgeber und Elternblogs. Über diese Unterschiede schreibt sie. Ob Fernsehkonsum oder Hausschuhe, Schulranzen oder Freundschaften -alles wird unter die Lupe genommen.
Direkt, warmherzig, klug und witzig ist dieses Buch. Es öffnet die Augen und zeigt Widersprüche. Eine Lektüre nicht nur für Eltern.
Franziska Lagemann
Die total normalen Abenteuer von Odette Germaine
Dressler
Odettes gesamte Familie ist froh, als deren seltsame Urgroßmutter Eloise endlich das zeitliche segnet. Innerhalb der Familie als Giftspritze bezeichnet, hatten die meisten Angehörigen Angst ihr einen Besuch abzustatten, da nicht selten danach alle mit Magenverstimmungen flach lagen. Eloise war zu experimentierfreudig und wer weiß, was alles aus ihrem immer größer werdenden Kräutergarten in ihren Mahlzeiten landete. Als die seltsame alte Frau im Sterben lag, erhielt die damals zweijährige Germaine als Auserwählte eine Rassel von ihr. Gleich nach Eloises Tod benutzte Germaine diese das erste Mal, woraufhin ihre Großmutter als lebende Tote aus ihrem eigenen Haus marschierte und verschwand.
Seitdem erweckt Odette immer wieder Tote zum Leben und hält sich am liebsten mit ihren neuen Freunden auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise auf. Als Halloween ansteht, plant sie eine riesige Party. Doch leider ist sie nicht die einzige mit nekromantischen Fähigkeiten und die Dunkle Bruderschaft hat sich ausgerechnet Halloween ausgesucht, um die Weltherrschaft an sich zu reißen. Das lässt Odette aber nicht zu und stürzt sich in ein großes Abenteuer, um „ihren“ Friedhof zu verteidigen und ihre Party zu feiern.
An das schwierige Thema Tod wird hier von einer ganz anderen außergewöhnlichen Seite angegangen. Dabei ist der Gänsehautfaktor garantiert, aber auch der Spaß kommt nicht zu kurz. Eine fantasievolle spannende Geschichte, die perfekt zu Halloween passt und mit Mädchenpower à la Pipi Langstrumpf und der roten Zora Lesende ab 10 Jahren zum Schmökern einlädt.
Der Buchmarkt und das Feuilleton feiern derzeit einen Debütroman, der tatsächlich all den Überschwang und all die Superlative verdient: Nämlich Tess Guntys »Der Kaninchenstall«, bei Kiepenheuer & Witsch in der Übersetzung von Sophie Zeitz erschienen.
Dieser skurrile wie großartige Text ist sowohl auf der Inhaltsebene wie auch auf formaler Ebene eine Zauberkiste ohne Boden; waghalsige Manöver, die aber alle auf magische Weise aufgehen, prägen diesen Roman, der Tess Gunty (als jüngste Preisträgerin seit Philipp Roth) prompt den National Book Award einbrachte.
Erzählt werden darin zahlreiche Geschichten und Leben etwas schiefer Individuen in einer absterbenden ehemaligen Industriestadt in Indiana. Rust Belt Biografien, die Gunty entlang ihrer eigenwilligen Protagonistin Blandine auffaltet und auf fantastische Weise zu- und ineinander bringt. Blandine, eine geniale Teenagerin, die Hildegard von Bingen verfallen ist und sich in einem Leben jenseits von Pflegefamilien einzurichten versucht – oder eben auch nicht – fungiert als Scharnier, mal tragisch, mal ironisch, mal durchaus charmant-amüsant, durch das das gesamte Personal in Erscheinung treten kann: ob virtuell oder tatsächlich physisch-allzu-körperlich. Zusammen mit drei weiteren Teenagern, die alt genug sind, um der Folge von Pflegeelternschaft zu entfliehen, mietet sich Blandine in eine Wohnung ein, die, eng mit Blandine verschmolzen, zu einem zweiten Scharnier der Geschichten und Biografien wird. Der Wohnblock, genannt Kaninchenstall, wird so selbst zum Akteur: Erzähltreppen, Stilkorridore, abseitig-düster-tiefgründige Kellernarrative, die es auszuhalten gilt, denen abhanden zu kommen, irgendwie Triebfeder des Plots ist. Eine Teenagerin, die ihrem eigenen Körper abhanden zu kommen versucht – ein Text, der seinen Textkörper transzendiert und frei zu schweben beginnt. Umwerfend!
Vanessa Walder
Das geheime Leben der Tiere (Wald, Band 1) – Die weiße Wölfin
Loewe Verlag
Als kleinste ihres Wurfs kommt Fünf, wie ihr Name schon sagt, als fünftes Wolfswelpe zur Welt. Auch wenn sie klein ist, so ist sie selbstbewusster und mutiger als ihre Geschwister. Das muss sie auch sein, da sie sich vorgenommen hat, die größte Jägerin zu werden. Doch zuerst muss sie noch die Wolfsregeln kennenlernen. So lernt sie wer als erster fressen darf und wer warten muss und das Raben eine tolle Hilfe bei der Beutesuche sind. So trifft sie auf Raak ihren treuen Weggefährten, mit dem sie in eine Welt voller Abenteuer aufbrechen muss, nachdem ihr Rudel von einem Feuer überrascht wird. Ob Sie überleben wird, ein neues Rudel findet und sogar Ihren Wunsch, Anführerin zu sein, erfüllen kann, lest ihr in diesem spannenden Buch.
Mit der neuen Reihe werden Leser ab 8 Jahren durch mehrere Bände in die Lebensräume Wald, Ozean und Savanne entführt und erleben die Abenteuer der sympathischen Tiercharaktere hautnah mit. Spannung pur mit allerlei Wissenswertem rund um verschiedene Tiere und ihre Lebensräume.
Berlin in den 80-er Jahren. Simone und Anja sind befreundet. Ihre Freundschaft ist nicht unkompliziert, hat Höhen und Tiefen. Aber während Anja erwachsen wird und beruflich Fuß fasst, eine Familie gründet, wird Simones Leben immer unruhiger und chaotischer. Bis zu dem Tag, als sie keinen Ausweg mehr sieht. Anja Reich sucht Jahre später nach den Gründen für Simones Verzweiflung. Sie stellt sich die Frage, ob sie die Tat hätte verhindern können, ob sie für die Freundin nicht da war.Von Simones Eltern erhält sie Aufzeichnungen, sie trifft Freunde und Partner. Offen und neugierig, gnadenlos ehrlich, talentiert war Simone und scheiterte.
Intensiv und berührend erzählt Anja Reich die Geschichte ihrer Freundin.
Felix leitet ein relativ erfolgreiches Start-up mit nachhaltigem Catering. In der Pandemie bleiben jedoch die Aufträge aus und Felix ist gezwungen anderweitig an Geld zu kommen. Er beschließt seine geerbte Berliner Wohnung jeden Monat für acht Tage zu vermieten. Währenddessen kommt er bei Freunden, der Familie oder sich ergebenden Gelegenheiten unter und es tun sich verschiedenste Probleme und Möglichkeiten auf. Während er in andere Leben eintaucht, scheint er seines jedoch immer weiter zu verlieren und seine Odyssee endet in einer Art Sinnsuche. Der Wegfall der alltäglichen Routine eröffnet in seinem Leben einen Möglichkeitsraum, der diverse Fragen aufruft, wie diese Leere, die man „Leben“ nennen könnte, zu füllen sei. Dialoge, Monologe, Gedankenspiralen versuchen zu erklären und irren herum, nicht selten gleitet die Handlung in groteske Situationen ab, die jedoch stets durch eine darunter liegende Ernsthaftigkeit aufgefangen werden. David Schalkos Roman „Was der Tag bringt“ ist eine äußerst amüsante und kurzweilige Lektüre, die interessante Ideen und Szenen beinhaltet, welche sich einem im Gedächtnis festsetzen.
Kate ist gelangweilt. Um ihre Ehe zu retten und sich den Traum eines eigenen Cafés zu erfüllen, sind ihre Eltern in ein kleines Dorf an der Küste Cornwalls gezogen. Der Plan scheint nicht aufzugehen und Kate findet es dort einfach nur öde. Etwas Interessantes gibt es hier doch: Ein altes herrschaftliches Haus, welches abweisend und düster am Ende einer Landzunge auf den Klippen thront. Sie macht sich also auf, um die Gegend zu Erkunden und lernt Billy und Gus kennen. Sie freunden sich an und stecken plötzlich in einem großen Abendteuer, denn Gus hat von seinem Großvater einen Kompass geerbt und seinem Testament lag ein Gedicht bei, welches die drei nun versuchen zu entschlüsseln. Gibt es im Haus wirklich einen Schatz zu bergen? Wer ist noch auf dem Suche nach ihm und schreckt vor nichts zurück? Und was hat es mit dem Fluch auf sich?
Der erste Teil der Dilogie verspricht ein spannendes Leseabenteuer mit einer ordentlich schaurigen Atmosphäre, welches junge und ältere Leser ab 10 Jahren in seinen Bann zieht.
In Every fällt der ultimative Horror der Postmoderne zusammen und wächst sich zu einem Tentakel aus, der unheimlich an den Grenzen der Fiktion kratzt.
Im gleichnamigen Roman des Beststellerautors Dave Eggers ist Every nämlich der Name einer zwar grotesken, aber keineswegs unrealistischen Fusion aus Suchmaschine-plus-Social-Media Plattform (Circle) und dem marktführenden Onlinehandel, aka Algorithmenfestschmaus, aka gläserne Konsument:innen – darüber, wenig verwunderlich, das umsatzstärkste Monopol aller Zeiten. Doch wie so häufig ist das, was gefährlich ist, auch anziehend. Wie Every: Trotz Marktmacht und lauter-unlauterem Geschäftsmodell ist der Megakonzern dennoch beliebt und zieht Konsument:innen ebenso an wie Arbeitnehmer:innen. Und von einer solchen erzählt der 500 Seiten starke Roman: Delaney Wells. Und doch ist Delaney wiederum keine solche. Zumindest nicht im klassischen Sinn. Denn ihr Ziel ist nichts Geringeres als den Megakonzern von innen heraus zu zerschlagen.
Verfolgt von allerhand kulturpessimistischem Gedankenwälzen, nötigem Schock und aufrichtiger Begeisterung für das Figurenkabinett rauscht man nur so durch diesen Aufklärungsthriller. Lesen!
Sarkastisch, bitterböse und schnodderig, aber auch diverse Menschentypen detailliert beobachtend und analysierend, legt uns Heinz Strunk in seinem neuen Buch 30 abwechslungsreiche Geschichten sowohl aus der Mitte der deutschen Durchschnittsbürger als auch aus den gesellschaftlichen Randgebieten vor. Strunks Komik, die immer ein Oszillieren zwischen Klamauk und Ernsthaftigkeit, Mitgefühl und Abscheu darstellt, kommt in diesen neuen Anti-Helden-Texten wieder voll zum Tragen. Einige Geschichten sind nur wenige Sätze lang – kleine Momente, grotesk oder mit doppeltem Boden – in anderen schildert Strunk auf bis zu dreißig Seiten Absurditäten des Alltäglichen. Manche der Erzählungen bestechen durch ihre ungewöhnliche Idee, andere durch ihre lebendig-realistische Wirkung qua Sprache, einige jedoch gerade durch das unter der permanent zynischen Erzählhaltung versteckte Herzliche. Denn ganz ohne Mitgefühl oder wenigstens etwas Mitleid, wäre es der Misanthropie dann doch zu viel. Ungewöhnliche, absurde Geschichten, zwischen Schmunzeln, Kopfschütteln und Erstaunen – stark!
Im Sommer 1956 trifft die Tochter von Frederick Kohner am Strand von Malibu auf eine Gruppe Surfer. Sie ist begeistert vom Sport, vom freien Leben und Zusammenhalt der „Jungs“. Und sie möchte auch aufs Wasser und die Wellen reiten. Kathy wird zunächst belächelt, aber sie findet einen Unterstützer. So kommt die Fünfzehnjährige nicht nur zu ihrem Spitznamen Gidget. In diesem Sommer beginnt ihr Leben als Surferin. Sie wird eine Ikone und weit über Malibu hinaus bekannt. Eigentlich wollte Kathy ihre Erlebnisse selbst aufschreiben. Doch ihr Vater nimmt sich der Sache an. Fredrick Kohner, ein Emigrant aus Deutschland, arbeitet für die Filmbranche, schreibt Drehbücher.
Ihm ist eine berührende Geschichte über seine Tochter gelungen. Sie zeugt von einer großen Verbundenheit und liest sich wunderbar. Eine tolle Sommerlektüre.
Emma liebt Detektivgeschichten und möchte später auch mal Detektivin werden. Allerdings passiert in ihrem öden Heimatort nicht viel. Doch wenn mal was los ist, dann erfährt sie es oft aus erster Hand von ihrem Opa, der Polizist ist. Seit einigen Tagen taucht im Ort immer wieder ein zu schnell fahrender LKW auf und Tartufo, Emmas Minischwein, erschnüffelt am Straßenrand einen kleinen Hundewelpen. Außerdem werden immer wieder Diebstähle gemeldet. Mal fehlen Eier oder auch ein ganzes Huhn oder ein Sack Kartoffeln. Gibt es zwischen all diesen Dingen eine Verbindung? Zusammen mit ihren Freunden nimmt Emma die Ermittlungen auf und stößt auf eine heiße Spur.
Emma & Tartufo gehört zu der Buchreihe #Lesechecker*in, die Spaß am Lesen lernen mit sich bringt. Die Kinderbücher zeichnen sich durch kurzweilige, spannende Geschichten, großer Schrift, einer einfachen Sprache und vielen Illustrationen aus. Jedes Buch bringt ein eigenes Extra mit sich und ein Daumenkino am Rand zeigt den Lesefortschritt an, so dass die Motivation und der Spaß am Lesen garantiert sind.
Emma und ihr Minischwein ist genau richtig für alle Schnüffelnasen ab ca. 9 Jahren.
Es ist eigenartig: Der Schock über die Nachricht des Angriffs auf den indisch-britischen Schriftsteller Salman Rushdie im August letzten Jahres wirkt so nah bei der Lektüre dieses neuen kleinen Meisterwerks, »Victory City«. Es wirkt, als sei es gerade gestern passiert – wieder Ratlosigkeit, wieder Sprachlosigkeit. An Worten fehlt es Rushdie selbst nicht; stattdessen dreht und wendet er sie wie gewohnt sprachmagisch und setzt sie neu zusammen: Zu einer Kampfansage gegen Gewalt und für den Einsatz von Worten. Was stark wirkt; was Mut macht. Auch wenn der Text nicht als Antwort auf die Attacke im engeren Sinne steht, hatte Rushdie das Manuskript bereits fertiggestellt und die Arbeit daran abgeschlossen. Dann vielleicht mehr als Vorausschau.
Die Geschichte, ansetzend im Südindien des 14.Jahrunderts ist komplex und mehrfach ineinander gefaltet, kaum in wenigen Zeilen wiederzugeben. Jedenfalls geht es um den Aufstieg und Fall eines historischen Königsreichs: Bisnaga, namens gebend Victory City. Daneben, parallel läuft ein Erzählstrang um die göttlich gesegnete Waise namens Pampa Kampana, der es auferlegt ist den Frauen in einer patriarchalen Welt eine gleichberechtigte Rolle zu geben. Pampa Kampana ist so verlängerter Arm des Göttlichen und Sprachrohr zugleich, Gründerin des Königreichs und doch immer wieder hilflos. Dabei aber nie verlegen um Worte, wissend um deren Wirkmacht. Ein fesseldner, epischer Text – eine wundervolle Urlaubslektüre.
Arielle hat es geschafft. Raus aus dem Problemviertel Essen Katernberg. Sie ist Anfang dreißig und arbeitet als Social-Media-Managerin in einer Marketingfirma in Düsseldorf. Dennoch landet sie mit Burnout und Depressionen in einer psychiatrischen Klinik. Als kurze Zeit nach ihrer Entlassung ihre Großmutter stürzt und sich einen Oberschenkelhalsbruch zuzieht, muss Arielle nach mehr als einem Jahrzehnt zurück in ihre Heimatstadt, denn die Großmutter ist alles an Familie, was sie hat. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt und die Mutter ist spurlos verschwunden, als Arielle noch in der Grundschule war. Zurück in Essen Katernberg trifft sie nicht nur auf alte Bekannte und Schulfreundinnen, sondern auch auf das aktuelle Problem zweier verschwundener neunjähriger Mädchen. Alte Wunden werden aufgerissen und die Suche nach den verschwundenen Mädchen wird auch zur Spurensuche in ihrer eigenen Geschichte.
Lisa Roy erzählt mit klaren Worten – teils mit Härte, teils mit Wärme und Witz – vom Leben in prekären Verhältnissen im Ruhrgebiet, das geprägt ist von Migration und Chancenungleichheit. Soziale Probleme spielen dabei ebenso eine Rolle, wie die Hoffnung auf das kleine Glück. Ihr Debütroman ist durchaus keine leicht verdauliche, dafür definitiv eine gute und lesenswerte Geschichte.
Kaitlyn Day, Mitte dreißig, akkurat gekleidet, Pagenschnitt, sieht sehr danach aus, was sie auch ist: eine Bibliothekarin. Wie viele sich eine Bibliothekarin vorstellen. Abenteuer gibt es bei ihr eher in Büchern als im wirklichen Leben. Und doch hat sie sich beworben, um am Betatest der Fusion-Initiative teilzunehmen. Cy Baxter, ein Social-Media-Mogul und der US-Geheimdienst haben zehn Probanden ausgewählt und damit beginnt „Going Zero“. Zwei Stunden bleiben Kaitlyn und den anderen, um zu verschwinden, für dreißig Tage. Wem das gelingt, dem winken drei Millionen Dollar. Doch für Kaitlyn steckt viel mehr dahinter.
Ein rasanter Roman, der wie ein Thriller daherkommt, aber viele Fragen aufwirft und nachdenklich stimmt. Wieviel Beobachtung wollen wir zulassen und wie weit ist die Technik eigentlich schon?
Barry und Carmel, einst von der Karibikinsel Antigua nach England ausgewandert, verbringen ein gemütliches Ruhestandsleben in ihrem Londoner Haus. Während für Carmel die Kirche und ihre Glaubensschwestern einen zentralen Aspekt ihres Lebens ausmachen, sind es für Barry Vintage-Anzüge und nächtliche rumgeschwängerte Bartouren. Carmel befürchtet seit längerem, dass Barry sie betrügt. Was sie jedoch nicht ahnt ist, dass Barry seit vielen Jahren eine geheime Liebesbeziehung zu seinem Kindheitsfreund Morris hegt, der ebenfalls als junger Mann von Antigua nach London gezogen ist. Nun möchte Barry dieses Geheimnis offenlegen – vor allem seiner Frau gegenüber.
In „Mr. Loverman“ wechseln sich Kapitel der Gegenwart aus der Perspektive Barrys mit denen Carmels ab, welche fünf Jahrzehnte in die Vergangenheit reichen. Kommen die Gegenwartskapitel in einem lakonischen und zugleich gewitztem Stil daher, so schwingen in den Erinnerungspassagen Carmels stets Nostalgie und etwas Melancholie mit. Während Barry mit seinem Coming-out hadert, fragt sich Carmel, ob es damals die richtige Entscheidung war, den Inselschönling Barry zu heiraten und mit ihm nach England auszuwandern.
Saras Kindheit ist sorglos. Sie wächst in den 30er Jahren in Frankreich auf. Sie geht gerne zur Schule, trifft sich mit ihren Freundinnen und zeichnet gern, vor allem Vögel. Noch ist der Krieg weit weg für Sara. Auch wenn sie Jüdin ist und die Nazis mittlerweile ihr Heimatland besetzt haben, so geht ihr Leben doch vorerst normal weiter, bis sie eines kalten Tages im April 1943 nur knapp einem Trupp deutscher Soldaten entkommt, die die jüdischen Schüler ihrer Schule fortbringen. Julien, ein Mitschüler, den sie bisher wegen seiner durch Polio verkümmerten Beine gehänselt hat, findet sie und versteckt sie mit Hilfe seiner Eltern in einer alten Scheune. Die Zeit vergeht, die beiden kommen sich näher und Sara wagt einem kleinen Hoffnungsschimmer Raum zu geben und von einer Zukunft zu träumen. Doch die Handlanger der Nazis sind wachsam und kommen Ihnen auf die Spur.
Dieser Roman nimmt die Thematik des zweiten Weltkrieges auf, ohne dabei zu verschreckend zu sein. Denn die Geschichte wird umrahmt durch die Befragung Saras durch ihren Enkel, der ihre ganze Geschichte für ein Schulprojekt erfahren möchte. Dadurch wir die Distanz ein wenig gewahrt und das Wissen, dass Sara überlebt, hilft auch dabei. Dennoch wird die Erinnerung an die schreckliche Vergangenheit und deren Opfer wach gehalten.
Eine dramatische Geschichte, die zeigt, dass es in den dunkelsten Zeiten Mut braucht, um freundlich zu sein, denn du könntest dadurch plötzlich alles verlieren – genau dann wird Freundlichkeit zum Wunder. Ab 11 Jahre.
CJ Hauser
Die Kranichfrau. Warum ich meine Hochzeit absagte und andere Liebeserklärungen.
C.H. Beck
Wir brauchen dringend mehr solcher Bücher; vielleicht mit anderen Titeln. Wobei natürlich der von der US-amerikanischen Autorin CJ Hauser gewählte, »Die Kranichfrau«, auf gute Weise irritiert und abstößt. Er fragt: Was war nochmal mit dem Kranich? Oder den Kranichen? Des Ibikus, des Apollon oder Hermes. Dieser schöne Vogel, dieses eigenwillige, erhabene Geschöpf. „Der Vogel des Glücks“, der Wachsamkeit bei Heraklit. Dann und darüber: Was hat das alles mit einer abgesagten Hochzeit und irgendwelchen Liebeserklärungen zu tun. Aufgeworfen, finden sich hierauf nicht ganz einfach Antworten, zumindest nicht singulär, feststellend. Eher verstreute Ahnungen, die sich über die Lektüre der gut 300 Seiten einstellen. Aufflackern und ebenso schnell wieder wegflattern.
Erzählt wird in dieser Abhandlung, zwischen ironischer Selbstreflexion und Erzählung, von einem andauernden Prozess der Entunterwerfung: Partnerschaft, sozialer Druck, Berufsleben… alles wird mehrfach gedreht und gewendet, umgestellt, umgebaut. Ende dreißig, (dann) single und kinderlos, CJ Hauser fragt (sich): wie leben? Und findet durchaus Antworten.
Adriana Altaras
Besser allein als in schlechter Gesellschaft. Meine eigensinnige Tante
KiWi
Adriana Altaras wird 1960 in Zagreb geboren. Als sie vier Jahre alt ist müssen ihre Eltern Hals über Kopf fliehen und das kleine Mädchen kommt zu ihrer Tante nach Italien. Eine enge Beziehung entwickelt sich und Adriana wird oft in ihrem Leben zu den unterschiedlichsten Gelegenheiten zur Tante zurückkehren. Als Adriana nach dreißig Jahren von ihrem Mann verlassen wird, ist es Teta Jele, die mit Ratschlägen und Pasta versucht, ihr wieder Mut zu machen. Den hundertsten Geburtstag der Tante können beide nicht zusammen feiern. Die Coronapandemie lässt es nicht zu. Umso häufiger telefonieren sie miteinander.
Adriana Altaras lässt uns teilhaben am Leben ihrer Tante, ein bewegtes Leben. Sie übersteht die spanische Grippe, überlebt das KZ und wird von ihrem späteren Ehemann gerettet. Warmherzig berichten in diesem Buch abwechselnd beide, Tante und Nichte über ihre eigenwillige Beziehung und darüber nie zu verzweifeln, Schönes zu genießen und immer bei sich selbst zu bleiben.
Benjamin Lebert
JULIAN UND ANISA und das Wunder vom Wacholderpark
Beltz
Julian ist eher vom Typ Beobachter. Er ist ruhig und schüchtern und sammelt gerne Wörter und er ist ein wenig in Anisa verliebt, aber traut sich nicht ihr das zu sagen. Anisa dagegen ist ein Wirbelwind und liebt es den Fußball durch den Park zu kicken. Julians Leben ist leider nicht so einfach. Er leidet an Epilepsie, wofür er von Diego oft gemobbt wird. Eines Tages geraten die drei in eine brenzlige Situation und Julian bekommt Ärger mit der Polizei. Doch er verrät seinen Diego und Anisa nicht und dennoch mobbt Diego weiter. Und plötzlich geht Anisa dazwischen. Danach ist zwischen Anisa und Julian alles anders…
Leberts erstes Kinderbuch behandelt kindgerecht Themen wie Freundschaft, Mut, Zivilcourage, Inklusion und Mobbing. Die beiden Hauptpersonen entsprechen nicht dem klassischen Genderklischee, was noch mehr Spaß an der Geschichte mit sich bringt. Durch die abwechselnden Sichtweisen von Julian und Anisa bleibt das Buch lange spannend und zeigt am Ende, was Freundschaft wirklich ausmacht. Ein wärmendes Lesevergnügend für alle ab 10 Jahren, je nach Leser auch schon ab 8 Jahren.
Dieser Text ist kurz, das Buch schmal, sehr schmal. Und das, obwohl der Suhrkamp Verlag schon immens breite Ränder und eine große Schriftart wählte.
Die Kürze und Schmalheit ist aber nur dann problematisch, wenn man sie mit dem Preis zusammenbringt – denn das, was wir auf den 41 Seiten zu lesen bekommen, gewinnt gerade durch diese zeichenhafte Komprimierung und erzeugt ein nachhaltiges Rauschen, das den Text weit über den Einband fortlaufen lässt. »Der junge Mann«, erlebt-geschrieben im Koordinatennetz zwischen 1998, 2000 und 2022, ist ein weiterer Baustein im Erinnerungsprojekt der Nobelpreisträgerin Annie Ernaux und verknüpft damit bisher lose Enden: Das in der über mehrere (meist schmale Bände) aufgespanntenTextlogik, wie in der Abarbeit am eigenen Leben, das bei Annie Ernaux immer mehr ist als ‚eigen‘, sondern auf seine Art persönlich-‚unpersönlich‘, ohne allgemein oder generell zu werden.
Im Vorlaufen zu »Das Ereignis«, diesem bedrückend gewaltigen Text über Ernaux‘ Schwangerschaftsabbruch während ihres Studiums, holt Ernaux hier, in »Der junge Mann« schreibend eine ungleiche, „skandalöse“ Beziehung an die Oberfläche: Ihre Beziehung/Affäre mit einem dreißig Jahre jüngeren Mann, einem Studenten, die sie einwebt in ihre Auseinandersetzung mit Scham, Klassismus, Sexismus/Misogynie, Begehren und eben dem/‘ihrem‘ Schreiben.
Wie auch immer: gekauft, geliehen oder in der Buchhandlung am Regal stehend: LESEN. Dringend.
Aaron Boks
Nackt in die DDR – Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat.
Harper Collin
Den Maler Willi Sitte kannte in der DDR fast jeder, genauso wie seine großformatigen Bilder. Er hatte sich dem Sozialistischen Realismus verschrieben und war Funktionär. Ein Mensch mit Macht und Einfluss. Und er war der Urgroßonkel von Aron Boks. Seine Großmutter zeigt ihm ein Gemälde, das so ganz anders ist, als das, was man von Sitte kennt. Und der Autor begibt sich auf Spurensuche. Er taucht ein in die Vergangenheit der Familie Sitte. Sie stammt aus dem Tschechischen, die Eltern von Willi Sitte sind Bauern und Kommunisten. Den sozialistischen und kommunistischen Idealen bleibt die Familie über Generationen treu. Aber so einfach ist es eben doch nicht. Aron Boks hat die DDR selbst nicht mehr miterlebt, aber er zeigt Willi Sitte und die Menschen um ihn herum in all ihrer Zerrissenheit. Es gibt nicht nur Gut und Böse, Schwarz und Weiß, Ost und West.
Um es mit Lukas Rietzschel zu sagen: „Aron Boks gelingt, was viele nur vortäuschen: Er hat ernsthaftes Interesse. Empathisch, kritisch, feinfühlig legt er die Ambivalenzen offen, die sich ergeben, wenn man sich mit ‚der DDR‘ beschäftigt. Chapeau!“
Es ist das Jahr 1945 als Josef Ambacher und seine Familie zusammen mit vielen anderen Deutschstämmigen in der Sowjetunion in Güterwaggons verfrachtet und in das ferne Sibirien transportiert werden. Der Zielort in der kasachischen Steppe ist ein harter, aber auch wundersamer Ort, an dem sich verschiedene Kulturen, Geschichten und Mythen begegnen. 40 Jahre später wächst seine Tochter Leila in der niedersächsischen Kleinstadt Mühlheide auf und saugt die Geschichten ihres Vaters auf. Als der Vater zu vergessen beginnt, beschließt sie die Fäden ihrer Geschichte mit der des Vaters zu verknüpfen und stellt trotz der zeitlichen und räumlichen Differenzen diverse Gemeinsamkeiten fest. Das Fremdheitsgefühl und die Suche nach Heimat scheinen sich zu vererben, doch sind es auch Werte wie Freundschaft und Liebe, die stets dagegen ankämpfen.
Janesch spannt einen großen Bogen um ein schwieriges Kapitel der deutsch-russischen Geschichte, das jedoch durch die kindlichen Perspektiven und Abenteuerlichkeiten aufgelockert wird. In einer unaufgeregten und feinfühligen Sprache schafft die Autorin es sowohl die verschiedenen Lebenswelten atmosphärisch aufzuladen als auch verschiedenste Charaktere zu zeichnen.
Die Fotografin Clara hat sich seit dem Tod ihres Mannes niemandem mehr richtig geöffnet. Und eigentlich kommt sie auch gut allein zurecht. Der charismatische Theaterschauspieler Elias ist eigentlich glücklich in seiner losen Beziehung zu Vera, doch er spürt mehr und mehr, dass etwas fehlt. Als die beiden bei einer Hausbesichtigung aufeinandertreffen, liegt sofort etwas in der Luft und nachdem sie sich bei der Premiere von Elias’ neuem Theaterstück wiedersehen, ist beiden klar, dass sie sich ineinander verliebt haben. Dieses große Gefühl schwört jedoch auch bald kleine Zweifel herauf. Ist es tatsächlich die große Liebe oder ist es nur die Blauäugigkeit der frischen Verliebtheit, wie man sie aus früheren Zeiten kennt? Als Clara ein einmaliges Jobangebot in Hamburg erhält, stellt sich beiden die Frage, ob ihre Gefühle füreinander tatsächlich so stark sind, dass sie über eine Entfernung von 600 Kilometer aufrechterhalten werden können bzw. wie sinnvoll es eigentlich ist sich in ihrem Alter auf eine neue Beziehung einzulassen, die gleich mit einer solchen Hürde beginnt.
Wer hier eine kitschige Liebesgeschichte vermutet, liegt weit daneben. Neben der durchweg realistischen Geschichte einer „Liebe im mittleren Alter“, sind es auch die Nebenfiguren und -geschichten, die das Buch lesens- und empfehlenswert machen. Sei es die zunehmende Demenzerkrankung von Claras Mutter, die Beziehung zu ihrem gutherzigen Bruder oder das Vater-Kind-Verhältnis zwischen Elias und seiner Tochter aus seiner ersten Beziehung. Zumal das Umzugsproblem keinesfalls das tragischste Ereignis in der Romanhandlung bleiben wird.
In ihrer Rezension für die Abendzeitung vergleicht Roberta De Righi Gorcheva-Newsberrys Debütroman »Das Leben vor uns« mit den Texten Tschechows. Sie schreibt: „Wie Tschechow beschreibt Gorcheva-Newsberry gesellschaftlichen Wandel und Untergang einer Epoche – nur eben hundert Jahre später“. Neben dem Sujet des Epochenumbruchs, ist es wohl vor allem die zurückhaltende und dennoch – oder gerade darüber – so intensive Art alltägliches, ‚kleines‘ Leben zu beschreiben ohne generalisierend oder typisierend zu verfahren; diese Leben ohne Bosheit oder Hohn und Überheblichkeit aufzuzeichnen und so nachvollziehbar zu machen, gleich wie weit dieses Leben vom eigenen Entwurf entfernt sein mag, was diese Referenz so einleuchtend macht.
Erzählt wird auf den kurzweiligen dreihundert Seiten die Geschichte bester Freundinnen, Anja und Milka, die Ende der 1980er-Jahre an den Rändern Moskaus aufwachsen. Während die ältere Generation statisch und verbraucht gezeichnet wird, verkörpern die zwei jungen Mädchen in ihrem Verlangen zu leben, anders zu leben, eine Vision von Zukunft. Gespeist aus Popsongs und westlicher Jugendkultur bricht durch sie etwas durch, das auf globalpolitischer Ebene durch die Auflösung der Sowjetunion und den Fall des Eisernen Vorhangs gespiegelt steht. Wie dieses Durchbrechen sowohl auf persönlicher, kleinster als auch gleichsam auf globaler Ebene sich weiter konkretisiert und Formen annimmt, bildet Gorcheva-Newsberry entlang ihrer Protagonistinnen ab. Mit allen Fallstricken und Verhaftungen; im Ineinander von Vision und Rückfall, von Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit. Sensibel, fesselnd, dabei niemals übergriffig.
Die Fotografin Clara hat sich seit dem Tod ihres Mannes niemandem mehr richtig geöffnet. Und eigentlich kommt sie auch gut allein zurecht. Der charismatische Theaterschauspieler Elias ist eigentlich glücklich in seiner losen Beziehung zu Vera, doch er spürt mehr und mehr, dass etwas fehlt. Als die beiden bei einer Hausbesichtigung aufeinandertreffen, liegt sofort etwas in der Luft und nachdem sie sich bei der Premiere von Elias’ neuem Theaterstück wiedersehen, ist beiden klar, dass sie sich ineinander verliebt haben. Dieses große Gefühl schwört jedoch auch bald kleine Zweifel herauf. Ist es tatsächlich die große Liebe oder ist es nur die Blauäugigkeit der frischen Verliebtheit, wie man sie aus früheren Zeiten kennt? Als Clara ein einmaliges Jobangebot in Hamburg erhält, stellt sich beiden die Frage, ob ihre Gefühle füreinander tatsächlich so stark sind, dass sie über eine Entfernung von 600 Kilometer aufrechterhalten werden können bzw. wie sinnvoll es eigentlich ist sich in ihrem Alter auf eine neue Beziehung einzulassen, die gleich mit einer solchen Hürde beginnt.
Wer hier eine kitschige Liebesgeschichte vermutet, liegt weit daneben. Neben der durchweg realistischen Geschichte einer „Liebe im mittleren Alter“, sind es auch die Nebenfiguren und -geschichten, die das Buch lesens- und empfehlenswert machen. Sei es die zunehmende Demenzerkrankung von Claras Mutter, die Beziehung zu ihrem gutherzigen Bruder oder das Vater-Kind-Verhältnis zwischen Elias und seiner Tochter aus seiner ersten Beziehung. Zumal das Umzugsproblem keinesfalls das tragischste Ereignis in der Romanhandlung bleiben wird.
Arno Geiger
Das glückliche Geheimnis
Hanser Verlag
In diesem relativ schmalen Band beschreibt Arno Geiger seine Anfänge als junger Schriftsteller. Er öffnet weit die Tür in sein Inneres. Berichtet von Geheimnissen, die er nie öffentlich machen wollte. Da sind Jahre in Wien, in denen er seinen Lebensunterhalt auf ungewöhnliche, schambehaftete Weise verdient hat. Dann die Rückkehr ins Elternhaus, kleine Erfolge und große Rückschläge. Das Buch liest sich wie ein Roman. Mit Klarheit blickt Geiger auf seine Vergangenheit, zeigt an sich selbst, wie gewunden ein Lebensweg sein kann. Seine Zweifel, ob eine Existenz als Schriftsteller überhaupt möglich ist, beschreibt er ebenso wie die zunehmende die Sorge um die Eltern. Und dann gibt es noch die Begegnung mit der großen Liebe. Der Hanser Verlag kann sich glücklich schätzen, diesen Autor zu haben.
Stefanie Hasse & Julia K. Stein
Time Travel Academy – Auftrag jenseits der Zeit Bd. 1
Oetinger
Der zwölfjährige Max findet sein Leben so öde: es gibt keinen Fernseher, dafür aber Handy- und Süßigkeitenverbot. Als Highlight darf er mit Klopapierrollen basteln. Er hätte sein Leben gerne mit dem eines anderen getauscht. Das ändert sich allerdings, als er eine goldene Einladung zur Time Travel Academy erhält. Seine Eltern, die seit dem Verschwinden seiner Schwester Stelle eh schon seltsam drauf sind, versuchen ihm diese Einladung zu verheimlichen. Aber daraus wird nichts. Max weiß, er muss auf diese Academy, erst recht, da er nun erfahren hat, dass er dort eventuell seine Schwester wiederfinden kann. So macht er sich heimlich auf den Weg zur Academy und stürzt sich in ein aufregendes Abenteuer, denn er muss dort erst die Aufnahmeprüfung bestehen.
Die beliebten Themen Internat und Zeitreise werden hier in einer coolen Action-Reihe vereint. Wer witzige, spannende und rasante Abenteuer mag, sollte der Einladung dieses Buches folgen. Für coole Kids ab 10 Jahre.
Andreas Schlüter
Danger Zone – Gefährliche Wüste, Bd 1
Fischer Jugendbuch
Gunnar Schrader, Vater von den Zwillingen Marcel und Julia ist Tierfilmer und-fotograf. Und als er die unglaubliche Gelegenheit bekommt die unglaubliche Welt der Tiere Australiens in einem Bildband zu verewigen, beschließt seine Frau, dass die ganze Familie für diese Zeit mit nach Australien zieht. Beide Kinder sind nicht sehr angetan davon, dass Ihre Mutter sie nun im Homeschooling unterrichten wird, aber für die Abenteuer auf diesem fremden Kontinent nehmen sie das gern in Kauf. Auch sie interessieren sich für das Fotografieren. Und als der Kollege ihres Vaters durch Krankheit ausfällt, nimmt er die Kinder kurzerhand mit auf seine erste Tour. Und so nimmt die Geschichte ihren Lauf, denn plötzlich tauchen Unbekannte auf und entführen ihren Vater und die beiden Geschwister stehen nun völlig allein in der Wüste und sind auf sich gestellt. Sie werden mit Buschfeuern konfrontiert, gefährlichen Verbrechern, giftigen Tieren und erleben Wassernot. Werden die beiden es durch die Wüste schaffen, um sich und ihrem Vater Hilfe zu besorgen? Eine weitere actionreiche Abenteuerserie aus Schlüters Feder für alle, die es spannend mögen und nebenbei auch noch ein wenig Sachwissen einsaugen möchten, ab 10 Jahre.
John Boyne schreibt in seinem neuen Roman die Geschichte aus „Der Junge im gestreiften Pyjama“ fort, indem er die Erzählperspektive wechselt und Brunos Schwester Gretel zu Wort kommen lässt. Im Jahr 2022 führt die über Neunzigjährige ein ruhiges Leben in ihrer Londoner Wohnung, bis eine neue Familie in das Wohnhaus zieht und Gretel eine Ungerechtigkeit erahnt, die ein Schuldgefühl heraufbeschwört, welches sie ein Leben lang mit sich herumgetragen hat. In Einschüben wird das Leben Gretels von der Flucht mit der Mutter aus Polen nach Frankreich über den Versuch eines Neustarts in Australien bis zur finalen Lebensstation in England erzählt. Das schwerste Gepäckstück ist stets die eigene Vergangenheit und die damit zusammenhängende Schuldfrage. Während „Der Junge im gestreiften Pyjama“ durch Brunos kindlich-naive Erzählperspektive bestach, ist der Sprachstil in „Als die Welt zerbrach“ ein gänzlich anderer. Psychologisch feinfühlig wird hier von der lebenslangen Last eines Schuldgefühls und Geheimhaltenmüssens erzählt.
1928 macht ein dreijähriges Fangverbot für die Ostsee die Fischer von Freest in der Nähe von Greifswald arbeitslos. Aber irgendwie müssen sie Geld verdienen, um ihre Familien zu ernähren. Gemeinsam mit ihren Frauen setzen sie sich an die Webstühle und knüpfen Teppiche. Sie zeigen die Welt der See, maritime Motive in wunderschön gedeckten Farben. Noch heute sind die Teppiche berühmt. Die Kuratorin Mia Sund erhält von unbekannt ein seltenes und besonderes Exemplar. Die Farben, der Flor, die Motive sind anders. Auf einer Borte entdeckt sie eine vieldeutige Chiffre. Zum ersten Mal beantragt Mia eine Dienstreise und so beginnt die Suche nach der Herkunft des Teppichs.
Lebendig und spannend verwebt Karin Kalisa in ihrem Roman die Geschichte zweier Frauen und erzählt dabei von der Kunst der Pommerschen Fischerteppiche.
Ein Roman in 365 Kapiteln und damit ein Text, der das Zeitvergehen festhält. Ein Jahr, ein Roman, der für mich zum Projekt wird: Die Idee dazu entstand im Herbst, als Fernando Aramburus neuer Roman, von der spanischen Kritik als Klassiker des 21.Jahrhunderts gefeiert, bei Rowohlt in deutscher Übersetzung erschien. 2023 sollte ein Jahr an der Seite von Toni werden. Und so fing das neue Jahr (Lissabon, 01.01.2023, 17:36) gleich mit den ersten Seiten dieses irrwitzigen Romans an.
Erzählt wird darin die Geschichte von Toni, einem Mann des Mittelmaßes, für den Lieben und Leben leere Worthülsen sind, mit denen er schon längst abgeschlossen hat. Einzig sein Hund interessiert ihn – jedoch wohl nicht so sehr, dass es er ihn von seinem Entschluss abhalten könnte: Er will seinem tristen Leben ein Ende setzen und das eben in genau 365 Tagen, gezählt vom 31.Juli an, dem Tag des Entschlusses. Ein Plan, der so lange steht, bis Toni eine Frau kennenlernt. Eine Hundebesitzerin, an deren Leine ein Hund namens Toni das Unterfangen ins Wanken bringt und Hoffnung aufflammen lässt. Doch darüber kann ich noch keine Aussagen treffen, nur das wiedergeben, was der Klappentext verrät. Denn bisher bin ich noch bei Kapitel eins – Zeit ist noch keine vergangen, weder im echten, noch im Romanprojekt-Leben. Der Auftakt ist aber vielversprechend, mein Vorhaben gefällt mir. Wie wäre es: Steigen Sie ein? Jetzt im minimalen Rückstand oder konsequent verspätet – und damit genau in der Zeit – zum 31.07.2023.
Eine schöne Kleinigkeit für unter den Baum oder zu St. Nikolaus? Fragen Sie uns auch gerne nach weiteren weihnachtlichen Kinderbüchern.
Eine schöne Kleinigkeit für unter den Baum oder zu St. Nikolaus? Fragen Sie uns auch gerne nach weiteren weihnachtlichen Kinderbüchern.
Irgendwo in Finnland liegt ein kleines Dörfchen namens Wichtelgrund. Hier leben neben Wichteln, fliegenden Rentieren und Elfen auch die kleine Mausi Miika. Allerdings versucht diese immer noch irgendwie dazuzugehören. Als letzte und schwächste Maus seines Wurfes hatte er es stets schwer und wurde immer übersehen. Also ist er froh, dass er in Künna der Kühnen eine Artgenossin als Freundin findet. Aber wird mit Künna wirklich alles besser? Und wird es Miika helfen, dass er vor kurzem auch noch verdruckwickt wurde und nun teilweise magisch ist? Als Künna ihn überredet sich auf den Weg zu machen, um bei den Trollen den besten und leckersten Urga-Burga-Käse zu stehlen, beginnt ein großes Abenteuer.
Haig erzählt hier eine weitere magische Weihnachtsgeschichte voller Witz und Wärme, über Mut, wahre Freundschaft, dem Wunsch nach Zugehörigkeit, das Treffen von richtigen Entscheidungen und den Glauben an sich selbst. Für große und kleine Leser und Zuhörer ab 8 Jahren.
Thomas Melle
Das leichte Leben
Kiepenheuer & Witsch
In der Wochenzeitung »Die Zeit« ruft man begeistert aus, der neue Roman von Thomas Melle, im Herbst bei KiWi erschienen, sei der „Weltliteratur nahe“. Nun würde es sich anbieten etwas bei diesem Begriff zu bleiben und zu fragen, was genau das eigentlich ist: ‚Weltliteratur‘ und genauer noch: Was einen Text wohl zu ‚Weltliteratur‘ macht. Hier bleiben diese zwei Fragen als offene Fragezeichen jedoch stehen; stattdessen werfen wir einen Blick in »Das leichte Leben«. Weniger global werdend, vielmehr bei einer situierten, regionalen Lektüre bleibend, die Enttäuschung Raum gibt und nicht verdeckt wird von weltumspannender Anrede oder Anschrift. Das ist in der Spannung, die sich zwischen dem Text selbst und dem Gütesiegel der »Zeit« ergibt, gar nicht mal so leicht. Fundiert doch eine Feststellung, die Allgemeingültigkeit beansprucht das Romangeschehen. Nämlich, dass die conditio humana durch und durch sexuiert ist, und so bestimmbar bleibt. Eine Diagnose, die irgendwie muffig nach Jahrhundertwende riecht. Nach einem bärtigen Wiener, Häkeldecke und pfeifenrauchig omnipräsenten Tabu.
Erzählt wird bei Thomas Melle die Geschichte eines erfolgreichen, ‚schönen‘ Paares, dessen schönes Leben von Begehren heimgesucht wird. Einem Begehren, das das kleinbürgerlich sehnende Klammern am Tabu herausfordert, nämlich indem es seine eigene Begrenztheit ausmalt. Konfrontiert mit einem Begehren, das die Institution monogame Ehe ins Wanken bringt, fasern die bisher so runden Biografien von Jan und Kathrin aus, brechen in sich: Jans in Form einer Heimsuchung aus seiner Internatsvergangenheit; Kathrins in Form des ungreifbar bleibenden Freundes der Tochter. Und das liest man dann so und fragt sich: Echt jetzt? Mehr gibt es da nicht zu erzählen? Hält unser Bildprogramm nur derart abgenutztes Material bereit: Internat, Freund der Tochter…? Wieso nicht gleich noch eine verführerische Mutterfigur, ein Bruder, eine Schwester? Stereotyp zusammengesetzt, macht »Das leichte Leben« wenig. Eine Wiederholungsschleife, die in der nüchternen Frage endet: Warum sollte uns diese Kathrin, dieser Jan interessieren. Was treiben die da, warum spuken sie da weiter rum? Sie bleibt, die Frage, ohne Antwort, genauso wie die Frage, was das alles mit Welt/-Literatur zu tun hat.
Mirna Funk veröffentlichte diesen Roman bereits 2015. Es ist ihr Debütroman. Und er ist nach wie vor lesenswert und hat an Aktualität nicht verloren. Lola sucht ihr eigenes Leben. Geboren in Ostberlin und von Vater und Mutter bei den jüdischen Großeltern gelassen, fühlt sie sich fremdbestimmt und heimatlos. Antisemitische Äußerungen in ihrem nahen Umfeld treiben sie in groteske Situationen. Im strengen Sinn ist sie keine Jüdin, der Vater ist Jude, die Mutter nicht. Aber wer bestimmt darüber: ein deutsches Gericht, der Rabbi, fremde Menschen? Lola reist nach Tel Aviv zu Shlomo, der heute ein linker Aktivist ist, aber als israelischer Soldat Schuld auf sich geladen hat.Und die Suche nach einem eigenen Leben bringt Lola weiter bis nach Thailand. Und sie bleibt dran, widersprüchlich, eigenwillig und hartnäckig.
Als Kleinkind wächst Ida umherziehend mit ihren berühmten DDR-Zirkuseltern auf. Will sie zunächst später einmal wie ihre Mutter am Trapez durch die Lüfte fliegen, entwickelt sie schon bald eine spezielle Bindung zum jungen Zirkuselefanten Hollerbusch, der am gleichen Tag wie sie geboren wurde. Von ihrem Vater lernt sie alles, was man über den Umgang mit den Tieren wissen muss. Als Ida ins Schulalter gelangt, entscheiden die Eltern jedoch, dass sie zur Oma ins Erzgebirge ziehen soll und nur noch in den Ferien mit ihnen reisen kann. In Tann betreibt die Großmutter die lokale Kneipe, wo Ida den Gesprächen und Geschichten der Bergarbeiter und ihrer Oma lauscht. Diese entführen nicht nur Ida, sondern auch die Lesenden über mehrere Generationen zurück in die Familiengeschichte und die wechselhafte Entwicklung des Bergarbeiterstädtchens. Mit der Wende geht vieles in die Brüche. Die Mine wird geschlossen, der Zirkus treuhänderisch verscherbelt, die Ehe der Eltern scheitert an Stasigeschichten und Idas Vater verschanzt sich trinkend in seinem Zirkuswagen im Garten der Großmutter. Ida zieht es nach Kyjiw, wohin Hollerbusch verfrachtet wurde, um dort ihre Dompteurin zu werden.
„Bittere Wasser“ ist zugleich eine abenteuerliche Familiengeschichte und äußerst spannende kulturhistorische, wirtschaftliche wie politische Entwicklungsgeschichte der Erzgebirgischen Region, die sich über zwei Jahrhunderte zieht. Pointiert, präzise und zugleich tiefschürfend erzählt, hinterlässt dieses Buch einen imposanten, durchdringenden Eindruck.
Seit langem gilt Péter Nádas als literarische Stimme Ungarns. Ausgezeichnet mit zahlreichen Preisen gehört der 1942 in Budapest geborene Autor fest auf die internationale Literaturbühne – sein neuer Roman festigt diesen Platz wieder einmal. »Schauergeschichten« ist ein Sprachmonument, ein wundersames Geäst aus Stimmen und Biografien, die ineinander laufen, sich aufspannen und zusammen eine Gemeinschaft bilden. Was sich auf sprachlicher Ebene über die knapp sechshundert Seiten realisiert, ist auf erzählerischer Ebene als Plot fein ausgearbeitet. Nádas Text verwebt die Lebensgeschichten unterschiedlicher Bewohner:innen eines Dorfes zusammen: plural, divers, und alle auf ihre Art grausam. Um das Dorf gruppieren sich Gespenster, Zwischenexistenzen, die das Geschick des Dorfes (mit-)zu lenken scheinen. Parabelhaft nutzt Nádas so den Spuk, um auf die Fragwürdigkeit (um es beschwichtigend zu formulieren) menschlicher Existenz aufmerksam zu machen: Missgunst, Bosheit, Gewalt und Schwäche zeichnen das Leben im Dorf am Fluss.
Betäubend. Großartig.
C.G. Drews
The Boy Who Steals Houses: The Girl Who Steals His Heart
Sauerländer
Die Brüder Sam und Avery hatten es nie leicht: von der Mutter verlassen, vom Vater geschlagen und von der Tante vernachlässigt müssen sich die beiden nun alleine durchschlagen. Während sein älterer, autistische Bruder hier und da unterkommt, bricht der 15 jährige Sam in verwaiste Häuser ein. Er hat eine Riecher dafür, wo er bleiben kann: ist der Kühlschrank leer? Oder gibt es Notizen an die Familienangehörigen? Doch eines Tages wird er im Schlaf überrascht, als eine Familie mit sieben Kindern überraschend nach Hause kommt. Zum Glück fällt er in dem Trubel gar nicht weiter auf und wird für einen Freund der Kinder gehalten. Und so wird er plötzlich zum Essen eingeladen und erlebt zum ersten Mal die Wärme und Geborgenheit einer Familie in der jeder für jeden da ist. Es fehlt ihm immer schwerer wieder Abschied zu nehmen, besonders nachdem er sich in die gleichaltrige Moxie verliebt hat. Jedoch holt ihn seine Vergangenheit wieder ein.
Ein aufrüttelnder Jugendroman über den Wunsch zweier Brüder nach einem Zuhause, Geborgenheit und Zugehörigkeit, der tief berührt, bewegt und einen nicht mehr loslässt. Für LeserInnen ab 13 Jahren.
Fatma Aydemir hat den Sprung von der Shortlist des Deutschen Buchpreises auf’s Siegerpodium nicht geschafft. Daher möchten wir ihren Roman hier nochmal etwas ins Rampenlicht ziehen. „Dschinns“ ist zugleich Familien- und Gesellschaftsroman. Nach Jahrzehnten der Gastarbeit in Deutschland erfüllt sich Familienoberhaupt Hüseyin seinen Traum einer Eigentumswohnung für seine Familie in Istanbul. Doch leider verstirbt er in eben jener bereits vor dem eigentlichen Einzug. Die Familie in Deutschland wird von seinem Tod informiert und in die Türkei berufen. Die Nachricht und das bevorstehende Zusammentreffen bringt jedes der Familienmitglieder zur Rückschau auf das eigene Leben. Hüseyins Frau Emine und die Kinder Ümit, Sevda, Peri, und Hakan haben unterschiedliche Perspektiven auf die gemeinsame Familiengeschichte, hatten mit ihren eigenen Geistern zu kämpfen und sind verschiedene Wege gegangen. Was sich hier nach und nach eröffnet ist nicht nur eine Familien- und Migrationsgeschichte mit all ihren Hürden und Schwierigkeiten verschiedener Generationen, sondern ebenso eine Wahrnehmungsrecherche. „Dschinns“ ist nämlich nicht zuletzt auch eine Schilderung von Fremd- und Selbstwahrnehmung, sowie eine versuchte Annäherung an so etwas wie „Wahrheit“, die sich – wenn überhaupt – höchstens zwischen den einzelnen subjektiven Wirklichkeiten versteckt.
Daniele Mencarelli
Für die Kämpfer, für die Verrückten
S.Fischer
Daniele findet sich nach einem schlimmen Wutausbruch in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie wieder. Dort muss er eine Woche zur Beobachtung bleiben. Er teilt sich das Zimmer mit fünf anderen Patienten. Zunächst misstrauisch beobachtet er Ärzte, Pfleger und Insassen. Er erfährt die Geschichten seiner Mitbewohner. Keiner darf die Station verlassen, mitten in der Hitze des Sommers sind alle eingesperrt, das Zimmer eine Zumutung. Gleichgültigkeit und Frust des Personals setzen allen zu. Aber Daniele erlebt Mitgefühl und Solidarität, er sieht Zuneigung und Verständnis. Als er nach nur einer Woche die Station verlassen darf, schmerzt es ihn sehr, die Anderen zurückzulassen.
Mencarellli schreibt voller Empathie. Dieser kleine Roman ist traurig aber nicht deprimierend. Er berührt den Leser auf ganz eigene Weise. Warum sind diese Menschen am Leben gescheitert? Und bringen die „Gesunden“ das nötige Verständnis für sie auf.
Die Covergestaltung des neuen Romans, »Jahre mit Martha« von Martin Kordić, ist wieder einmal ein gut-schlechtes Beispiel dafür, wie Erwartungen und Rezeption über die Gestaltung gesteuert werden: Dem S. Fischer Verlag gelang es aus einer vielschichtigen, häufig verstörenden Geschichte ein Element herauszulösen und Kordics Text über das Cover auf eine foto-verfilterte Liebesgeschichte zu reduzieren. Als handele es sich dabei um einen deutschsprachigen David-Nicholls-Abklatsch mit kitschiger Schwermut, regennassen Küssen der Vergebung im Gegenlicht und ach-was-weiß-ich… Dagegen kann der Text des in Celle geborenen Hanser-Lektors mit kroatischen Wurzeln so viel mehr als das. Und wenn »Jahre mit Martha« AUCH eine Liebesgeschichte ist, so ist der Roman eben daneben ebenso eine sensible, sozialkritische Beschreibung der Lebenswirklichkeiten junger Migrant:innen in der BRD, wie darin eine durchaus brutale, teils verstörende Abrechnung mit der deutschen Klassengesellschaft, mit sozialer Ungerechtigkeit und Rassismus. Gewichtige Themen oder Ebenen des Textes, die keinen Platz auf der Bank mit den zwei Rücken im Herbstgarten finden.
Ein Ansatz zur Erklärung des Von-der-Bank-Fallens ließe sich in der Sprache suchen, in der die Geschichte des Protagonisten Željko Draženko Kovačević, kurz Jimmy, dem Sohn kroatisch-bosnischer Eltern erzählt wird: Leichtfüßig und locker malt Kordic die Oberfläche, die es ihm sodann erlaubt Tiefenbohrungen zu unternehmen und seine eigentlichen Geschichten auszufalten.
Fazit: Nicht vom Cover abschrecken lassen, nicht von der Liebesgeschichte zwischen Jimmy und der 25 Jahre älteren Professorin Frau Gruber. Denn »Jahre mit Martha« stellt weniger eine letzte herbstliche Zärtlichkeit (Nicholls) dar, als vielmehr eine Art Hommage an Schlinks »Der Vorleser«, wo doch die erste ungleiche erotische Berührung nicht den Endpunkt als vielmehr das Sprungbrett in tiefere Schichten markiert.
Nachdem uns Theresia Enzensberger in „Blaupause“ zurück zu den Anfangsjahren des Bauhauses nach Weimar entführte, gelangen die Lesenden in „Auf See“ in eine nicht allzu ferne Zukunft. Während die Welt stetig dem Untergang entgegenstrebt, hatte Yadas Vater eine Seestadt vor der Norddeutschen Küste als utopische Gegengesellschaft gegründet. Doch wie der Glanz der Seestadt über die Jahre verloren gegangen ist, so kommen auch Yada Zweifel an den Idealen ihres Vaters und den Geschichten über ihre Mutter. Als sie zudem einen Aufstand der Arbeiterschaft wittert, beschließt sie auf das Festland zu fliehen. Yadas Kapitel wechseln sich mit denen Helenas ab, einer mehr oder minder freiwillig zur Künstlerin und Sektenführerin avancierten Bewohnerin des Festlandes. Dass beide Schicksale irgendwann aufeinandertreffen müssen, liegt von Anfang an in der Luft. Die Frage ist nur, aus welchen Gründen. Neben diesen beiden Perspektiven ist der Roman durchsetzt von „Archiv“-Kapiteln in denen von historisch belegten Beispielen neoliberaler Ideen, utopischen Versuchen mit dystopischen Ergebnissen, Idealisten und Gaunern die Rede ist. Die Utopie als Sehnsuchtsort existiert seit langem im menschlichen Bewusstsein und doch hat sie bis heute noch keine konkrete Form entwickeln können. Vielleicht nähert man sich ihr am ehesten aus dem Lernen von bisherigen missglückten Versuchen und begangenen Fehlern.
Die Kinder der Klasse 4a sind ein wilder Haufen und machen es ihrer Lehrerin wirklich schwer. Sie steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch und streicht die Segel. Da kommt die Austauschlehrerin aus England zur rechten Zeit. Die Schüler sind erst noch skeptisch, aber dann gewinnt sie ihre Herzen, denn sie hat etwas magisches an sich. Ihr Hang Sprichwörter für bare Münze zu nehmen macht aus „Jemanden aufs Glatteis führen“ eine Eisbahn im Schwimmbad und das mitten im Sommer.
Im aktuellen Band stehen den Kindern der Klasse 4a 10.000€ in Aussicht. Sie müssen dafür nur die Projektwoche gewinnen. Dumm nur, dass die schreibfaule Klasse als Projektthema die Schülerzeitung bekommen hat. Das kann ja nie was werden oder doch. Immerhin gibt es ja die fabelhafte Miss Braitwistle und schon haben die Schüler magische Presseausweis und somit Zutritt zu den interessantesten und spannendsten Veranstaltungen und plötzlich sind sie sogar in der Südsee. Und dann kommt es wie es kommen muss und einer baut mal wieder Mist. Wird die Lehrerin das grade biegen können?
Die Bücher voller wunderbarer Geschichten einer total verrückten und chaotischen Klasse und einer Lehrerin der besonderen Art im Stil von Mary Popins sind für alle Leser ab 8 Jahren geeignet und machen sogar Spaß auf Schule. Und das Beste: Von den lustigen Abenteuern gibt es mittlerweile sechs Bücher in unserer Buchhandlung zu erwerben.
Sabine Ludwig
Die fabelhafte Miss Braitwhistle Bd. 1 & Bd. 6
Dressler
Die Kinder der Klasse 4a sind ein wilder Haufen und machen es ihrer Lehrerin wirklich schwer. Sie steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch und streicht die Segel. Da kommt die Austauschlehrerin aus England zur rechten Zeit. Die Schüler sind erst noch skeptisch, aber dann gewinnt sie ihre Herzen, denn sie hat etwas magisches an sich. Ihr Hang Sprichwörter für bare Münze zu nehmen macht aus „Jemanden aufs Glatteis führen“ eine Eisbahn im Schwimmbad und das mitten im Sommer.
Im aktuellen Band stehen den Kindern der Klasse 4a 10.000€ in Aussicht. Sie müssen dafür nur die Projektwoche gewinnen. Dumm nur, dass die schreibfaule Klasse als Projektthema die Schülerzeitung bekommen hat. Das kann ja nie was werden oder doch. Immerhin gibt es ja die fabelhafte Miss Braitwistle und schon haben die Schüler magische Presseausweis und somit Zutritt zu den interessantesten und spannendsten Veranstaltungen und plötzlich sind sie sogar in der Südsee. Und dann kommt es wie es kommen muss und einer baut mal wieder Mist. Wird die Lehrerin das grade biegen können?
Die Bücher voller wunderbarer Geschichten einer total verrückten und chaotischen Klasse und einer Lehrerin der besonderen Art im Stil von Mary Popins sind für alle Leser ab 8 Jahren geeignet und machen sogar Spaß auf Schule. Und das Beste: Von den lustigen Abenteuern gibt es mittlerweile sechs Bücher in unserer Buchhandlung zu erwerben.
Dusty Diggers
Gekrächze aus der Urzeit: Das Geheimnis des Urvogels Archaeopteryx
Seemann
Diese Geschichte beginnt mit einem abenteuerlichen Fund. Der von Husten geplagte, zu einem Hungerlohn hart arbeitende Steinbrucharbeiter fand eine seltsame Kreatur in seiner gerade gelösten Kalksteinplatte. Er haderte kurz mit sich und ließ dann diese Platte mit dem seltsamen Vieh unter seinem Mantel verschwinden. Nach der Arbeit machte er sich auf zu seinem Arzt und man glaubt es kaum: er tauschte bei dem Hobby-Paläontologen seinen Steinplattenfund gegen 5 Arztbesuche ein. Und dann nimmt die Geschichte seinen Lauf. Dieses seltsam aussehende Suppenhuhn, entpuppt sich als Fossil aus der Dinosauerierzeit. Aber wohin gehört es, ist es ein Dinosaurier mit Flügeln oder ein Vogel? Zahlreiche Wissenschaftler des 19 Jahrhunderts brannten darauf das Rätsel zu lösen. Sollte sich Charles Darwins Evolutionstheorie bewahrheiten?
Voller Spannung können kleine Wissenschaftler die Entdeckung und Erforschung des Urvogels Archaeopteryx verfolgen. Konnte er fliegen oder nur gleiten? Wo lebte er? Was hat es mit Darwins Theorie auf sich? Dieser aufregende Kinderkrimi vermittelt sehr lebendig alles Wichtige über die Urzeit, erklärt die Basics zu Darwin und rundet das Leseabenteuer mit amüsanten Zwischenkommentaren und Illustrationen ab. Geschichte war selten so fesselnd verpackt wie in diesem Buch. Und wer noch mehr über die Himmelsscheibe von Nebra oder die Wikinger wissen möchte, liest einfach weiter im Band 1 und Band 3 dieser Reihe. Ab 8 Jahre.
London in den späten Sechzigern. Der Musikmanager Levon Frankland will eine ganz besondere Band zusammenstellen und wählt die einzelnen Musiker wie ein Maler seine Pinselstriche. Für sein Bandprojekt gewinnen will er die Folksängerin Elf Holloway, den Bluesbassisten Dean Moss, den Gitarrenvirtuosen Jasper de Zoet und den Jazzdrummer Griff Griffin. Es braucht nicht viel Überzeugungsarbeit und die vier landen schnell zum Jammen im Proberaum. Es ist der Beginn von „Utopia Avenue“ und einem anfangs steinigem Weg, der die Band jedoch alsbald an die Spitze der Charts katapultieren wird. Doch auch Ruhm und Erfolg können nicht alle Sorgen und Probleme tilgen.
In David Mitchells neuem Roman wird die Psychelic- und Rock-Szene der späten Sixties lebendig. Gastauftritte von David Bowie, Jimi Hendrix, den Rolling Stones und weiteren Musikgrößen der damaligen Zeit sind keine Seltenheit. Doch das Buch ist keineswegs nur etwas für Musikliebhaber. Im Laufe des Romans entfalten sich die Lebensgeschichten der vier Bandmitglieder. Elf, Dean, Jasper und Griff sind nicht nur charakterlich sehr verschieden, sie weisen auch alle unterschiedliche Schicksalsgeschichten auf. Einig ist ihnen, dass sie alle mit den Dämonen der Vergangenheit zu kämpfen haben.
Es war wohl Ernest Hemingway, der sagte: Eine gute Geschichte erkennt man daran, wenn man sie in einem Zug lesen kann. Nun liegt mit dem Debütroman der 1995 auf Teneriffa geborenen Schriftstellerin Andrea Abreu ein Text vor, der einfach keinen anderen Umgang zulässt. Man muss ihn in einem Zug lesen – und ja, »So forsch, so furchtlos« ist eine gute Geschichte, sehr gut sogar. So gut, dass sie einen umhaut, während sie einen vor sich hertreibt, Seite für Seite. Dabei ist das Ganze überhaupt nicht so gebaut, dass man durchgetrieben werden möchte. Oder eben nur ein Teil des Selbst. Der andere Teil möchte verharren und das ausgefeilte Sprachspiel bewundern, sich über den Witz und das Können der Autorin freuen.
Erzählt wird in »So forsch, so fruchtlos« von einer Mädchenfreundschaft am Fuße des „Volkan“, wie es heißt. Einer Wohngegend, voller erstaunlicher Gestalten und Geschichten, die von tiefer Religiosität und Armut geprägt sind. Darin die zwei Freundinnen, eine eher brave, ängstliche, namenlose Ich-Erzählerin und Isora, die ähnlich forsch und furchtlos ist, wie Abreus Schreibe. Ohne Tabu und Rücksichtnahme toben sich beide aus, bis die Geschichte ein tragisches und trauriges Ende nimmt.
Der spanische Originaltitel des Romans lautet »Panza de Burro«, zu Deutsch so viel wie Eselsbauch, und steht für ein charakteristisches Wetterphänomen auf den Kanarischen Inseln: tiefhängende Wolken, die Schutz vor der Sonne bieten. In diesem Dunst wachsen die beiden auf, hier und da lassen die Wolken etwas Licht durch. Dieser Bewegung folgen wir als Leser:innen – wie gesagt, die Seiten verschlingend – bis wir selbst im trüben, lichtlosen Dunst sitzen. Seite an Seite mit der Ich-Erzählerin, ohne Isora.
Auch wenn der Preis für ein so schmales Buch recht üppig erscheint: Hier hilft sparen – apropos – nichts. Lesen!
Jakob führt den elterlichen Hof schon viele Jahre, seit er 15 ist, und immer noch kämpft er gegen den Untergang. Der Vater mit seinen verrückten, untauglichen Geschäftsideen musste ein Stück Acker nach dem anderen verkaufen. Mit Reparaturarbeiten wie in der Dorfschule verdient Jakob etwas dazu. Und dort begegnet ihm Katja. Die versucht halbherzig Malerin zu werden. Nur zögernd lässt Jakob eine Annäherung zu.
Und Katja hat Ideen und Pläne für den Hof. Sie stellen erfolgreich auf Bio um, der gemeinsame Sohn wird geboren. Doch Jakobs dunkle Seite, sein grausamer Zorn, sein Misstrauen treten immer wieder hervor. Er fragt sich, ob seine Frau nur einen Bauern wie ihn wollte, ob sein Leben anders verlaufen wäre, wenn er anderswo aufgewachsen wäre.Wie bei seinen beiden Hunden, die zu wildern begonnen haben, bricht sich die Gewalt ihren Weg frei.
Kaiser-Mühlecker hat keinen Dorfroman aus der Sicht eines Außenstehenden, eines Städters geschrieben. Er kennt das Leben auf dem Land als Insider. Noch heute führt er die Landwirtschaft seiner Vorfahren. Der Leser spürt die Vertrautheit mit dem Sujet. Man kann die auszehrende Arbeit, die Ermattung Jakobs nachvollziehen. Einfach kündigen geht nicht. Wie schon in „Fremde Seele, dunkler Wald“ ist Reinhard Kaiser-Mühlecker ein großartiger Roman gelungen, der nicht zu Unrecht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2022 steht.
Für Peanut hat sich alles geändert. Auf Wunsch ihrer Mutter musste sie die Schule wechseln und fühlt sich dort unwohl und vermisst ihren Vater sehr. Peanut liebt das Zeichnen und eines Tages findet sie in ihrer Erinnerungskiste ihres Vaters einen besonderen Bleistift mit magischen Kräften. Alles was man mit ihm zeichnet wird plötzlich real. Zusammen mit ihrer pfiffigen kleinen Schwester und ihrem nerdigen Lernpartner Rockwell, machen Sie sich auf nach Chroma, einer Stadt, die sich hinter einer von Peanut an die Wand gemalten Tür verbirgt. In dieser abenteuerlichen Welt leben fantastische Wesen wie das sprechendes Krokodil, die bösen RADIERer oder „Möbel-Man“. Aber auch Mr. White lebt dort, der die schöne Welt bedroht. Die Kinder bemerken, dass man hier Peanuts Vater kennt und so schöpfen sie Hoffnung und versuchen ihn zu finden und diese Welt zu retten.
Der Autor und Illustrator hat hier eine fantastische Welt geschaffen, in die man gerne eintauchen und sie kennenlernen will. Das Buch eignet sich für Leseratten aber auch wenig Lesende, da die kurzen Kapitel auf jeder Seite durch orange-schwarze Zeichnungen aufgelockert werden. Diese laden immer auf einen Blick ein. Das Buch über Freundschaft und Familie, Mut und Zusammenhalt und vor allem dem Glauben an sich selber bietet ein spannendes, kunstvoll gestaltetes Leseabenteuer für alle ab 9 Jahren.
Ein wütender-aufrührender Schlag ins Gesicht! Christina Morales‘ neuer Roman, im Frühsommer bei Matthes & Seitz Berlin erschienen, ist ein furioses Sprachwunder – dabei aber ein Text, der nicht nur auf sprachlicher Ebene um sich schlägt, sondern in voller Breite. Erzählt wird in »Leichter Sprache« von vier Frauen, die von der Mehrheitsgesellschaft, besessen von Normen und trügerischen Idealen, als ‚behindert‘ gelesen werden und die sich gegen diese Lesart, wie die damit einhergehenden Blicke und Ausschlüsse zur Wehr setzen. Ein Auflehnen gegen die „neoliberale Macho-Fascho“-Gesellschaft, durcherzählt, durchgetanzt und durchbuchstabiert entlang der vier Protagonistinnen: Marga, Àngeles, Patri und Nati. Vier ‚Fälle‘, die in einem bewundernswerten Montageakt aus Gerichtsakten, Protokollen und Fanzine-Schnipseln zusammengeschrieben, davon erzählen, welche Mühen es kostet sich als so genanntes ‚randständiges Subjekt‘ von den Zwängen staatlicher Einrichtungen und dem Justizapparat zu lösen und ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben zu führen.
Ein sozialkritischer Parcours durch ‚unsere‘ post-moderne Welt, erzählt aus den Trümmern Barcelonas. Unbedingt lesenswert! Auch wenn dieser Spiegel immer wieder weh tut. Was er muss.
Nora erhält die Nachricht, dass ihr Vater tödlich verunglückt ist. Aber sie glaubt nicht an den Unfall mit Fahrerflucht. Im Laufe dieses spannenden Romans kommen abwechselnd neun Personen zu Wort. Nicht immer geht es um den Unfall – er hält die Geschichte jedoch zusammen. Erzählt wird von den Schwierigkeiten als Einwanderer, vom Fremdsein trotz aller Bemühungen. Maryam, Noras Mutter, vermisst ihre Heimat Marokko. Und doch ist sie es gewesen, die ihren Mann Driss überredet hat, in die USA zu gehen, in eine Kleinstadt in der Mojavewüste. Nora und Salma sind hier aufgewachsen. Die Schwestern gehen unterschiedliche Wege. Während Salma Karriere macht, versucht sich Nora musikalisch zu verwirklichen. Auch die ermittelnde Polizeibeamtin und der Unfallzeuge erzählen aus ihrem Leben, vom alltäglichen Rassismus und von der Angst als Illegaler entdeckt zu werden. Jeremy arbeitet ebenfalls bei der Polizei. Er kennt Nora noch aus der Schulzeit. Nach seiner Zeit bei den Marines musste er erst wieder Fuß fassen im Leben.
In Laila Lalamis Buch verschmelzen Krimi, Familien- und Liebesgeschichte. Es ist still erzählt, ohne Action und zieht den Leser doch mit sich.
Dem Jurist Dr. Roth steht ein Jobwechsel bevor. Die perfekte Gelegenheit eine dreimonatige Auszeit an der Ostsee einzulegen und seine Familiengeschichte in einem erzählenden Sachbuch niederzuschreiben. So reist er mit einer Unmenge an Tonbandaufnahmen nach Niendorf, wo in 1950er Jahren bereits die Gruppe 47 tagte. Doch es ist nicht primär der Geist von Celan, Bachmann und Co, der ihn dort erwartet, sondern vor allem die Präsenz seines dortigen Vermieters Breda, der sich nebenher auch als Strandkorbdreher verdingt und das örtlichen „Likördepot“ betreibt, dessen bester Kunde er offensichtlich selbst ist. Wie Roth dem verabscheuten Breda erfolglos aus dem Weg zu gehen versucht und sich dieser ortskundige Insider schließlich doch zu einer Art Freund entwickelt, ebenso ist auch sein Romanprojekt nach und nach zum Scheitern verurteilt. Alles verläuft ganz anders als geplant.
Strunks neuer Roman scheint auf den ersten Blick eine Geschichte des gesellschaftlichen Abstiegs und Scheiterns zu sein. Die große Distanz zwischen dem Maßanzüge tragenden Roth und der Dorfbevölkerung löst sich schrittweise auf. Doch der Weg vom Schreibtisch an die Theke bedeutet zugleich auch den Fall aus seiner anfänglichen Überheblichkeit. Strunks neuer Roman steckt voller ethischer und moralischer Zweifelhaftigkeiten, platten Sprüchen und Schnoddrigkeit; zeigt jedoch abermals seine herausragende realistische Beobachtungs- und Schilderungsgabe sowie sein großes Herz für die Menschen der unteren Gesellschaftsschichten und (scheinbar) Gescheiterten.
Tania Messner
Sansaria Band 1: Träume der Finsternis
Oettinger
Leonard Federspiel hat es nicht leicht. Er lebt zusammen mit seiner recht speziellen Mutter in einer alten Villa, die einst wirklich schön gewesen sein muss. Doch seit Leos Vater verschwunden ist, reicht das Geld vorn und hinten nicht. Nun soll er nach den Ferien auch noch die Schule wechseln, dabei hat er doch schon kaum Freunde. Und dann geschieht noch etwas Ungewöhnliches. Gerade noch lag er in seinem Bett und plötzlich findet er sich in einer völlig fremden Welt wieder. Einer Welt voller komischer Wesen. Leider sind diese nicht alle nett und so rennt Leo plötzlich um sein Leben. Was wollen diese bissigen Kieferlinge nur von ihm? Zum Glück steht ihm das Mädchen Philomena zur Seite. Nur langsam wird im klar, dass er der Auserwählte zu sein scheint, der die Traumwelt Sansaria retten soll und dies soll er ausgerechnet mit Hilfe eines Koffers und Zauberfarben tun. Kann das gelingen?
Tania Messner startet mit „Träume der Finsternis“ in eine neue Reihe voller Spannung und Abenteuer. Wer mutig und nicht zart besaitet ist, hat mit diesem Buch Lesestoff der besonderen Art vor sich. Aber ungeduldig sollte man nicht sein, denn alles kann ihn diesem Teil nicht geklärt werden und Teil 2 steht bereits in den Startlöchern. Für geübte Leser ab ca. 10 Jahren.
Irgendwann geschieht es immer: Ein E-Mailroman, wohl Glattauers »Gut gegen Nordwind«, ein Facebook-Roman, wohl Varatharajahs »Vor der Zunahme der Zeichen«, ein Twitter-Krimi, wohl Jennifer Egans »Black Box« … Nun ein Tik-Tok-Roman: Julia von Lucadous »Tick Tack«, ein schaurig wichtiger Text, der von all den Corona- und Quarantäne-Romanen, die gerade sonst Konjunktur feiern, aufblicken lässt.
Wie die Verkehrung im Titel bereits markiert, entfaltet sich »Tick Tack« nicht als strenge literarische Abarbeit an dem Medienphänomen, der Plattform Tik Tok, sondern nimmt diese vielmehr als Ausgangspunkt, um über unsere Gegenwart nachzudenken. Dies geschieht entlang der Biographie von Mette, einer hochbegabten Teenagerin, die ihren Selbstmord über eben jene Plattform ankündigt, nicht gehört, trotzdem aber gerettet wird. Klar wird bereits da, es geht um Sichtbarkeit, um Hörbarkeit und schlussendlich darum, wie sich (als Heranwachsende) in einem Stimmengewirr zu orientieren. Was auf die Eingangssequenz folgt, ist ein Zeitsprung, eine Liebensgeschichte: Mette und Jo, zehn Jahre nach dem Selbstmordversuch, zehn Jahre nach Tik Tok. Tick Tack bleibt – so wie die Frage nach Sicht- und Unsichtbarkeit.
Die Iren Charlie und Maurice, zwei alternde Ganoven, sitzen an der Fähre von Algeciras. Sie sind auf der Suche nach Dilly – die Tochter des einen oder des anderen. Die beiden haben Dilly seit Jahren nicht gesehen und alles was sie wissen ist, dass sie als Aussteigerin leben und in dieser Nacht auf einer Fähre von oder nach Tanger sein soll. Es entfächert sich eine Geschichte, die von zwei Leben voller Höhen und Tiefen, Erfolgen und Verlusten sowie Freundschaft und Misstrauen erzählt. Abgesehen von den abenteuerlichen Lebensgeschichten von Charlie und Maurice, sind es die Dialoge, welche oftmals an Becketts „Warten auf Godot“ erinnern, die den Roman auszeichnen. Der Slang in den Dialogen sowie die zeitlichen Sprünge in die Vergangenheit der beiden erzeugen eine soghafte Atmosphäre und sorgen für Abwechslung. „Nachtfähre nach Tanger“ ist kein seichter Roman, jedoch auch voll eigener Komik und leiser Magie.
Reisen Sie in Gedanken nach Dänemark, Westjütland, in den kleinen Ort Velling. Kühe, Windräder und eine Heimvolkshochschule – mehr gibt es dort nicht. Eine junge Mutter zieht dorthin. Ihr Mann hat eine Stelle an eben jener Schule angenommen. Die ist schon eine Welt für sich. Verwöhnte junge Leute kommen nach dem Schulabschluss um sich selbst zu finden. Distanz zwischen Lehrern und Schülern Fehlanzeige. Die Angehörigen der Lehrkräfte haben es nicht einfach in dieser Blase. Zugleich muss die Protagonistin mit den wortkargen Einheimischen warm werden, endlich ihre Fahrprüfung bestehen und sich in die Mutterrolle finden. Als sie die Stelle als Kummerkasten-Redakteurin bei der Lokalzeitung übernimmt, ändert sich alles.
Dieses Buch von Stine Pilgaard war in Dänemark der erfolgreichste Roman der letzten Jahre. Erzählt mit viel Humor und Ironie, voller Menschlichkeit-das Lesen macht einfach Spaß.
„Und also ging ich umher“, so eröffnet der Lyriker und Dramaturg Wolfram Lotz sein neues Buch: »Heilige Schrift I«. So also ging er umher: 2017, von Leipzig weg, über Freiburg in eine elsässische Kleinstadt, von dort aus immer wieder an Theater, Literaturhäuser, Zürich, Frankfurt, Erfurt, um immer wieder dort im Elsass anzukommen. Anzukommen, um? Zu schreiben. Um im Schreiben anzukommen. Der Text, der im Zuge dieses Umhergehens, des Ankommens entsteht, ist die Mitschrift eines Jahres in Zeitgleichkeit: Zeitgleich leben und schreiben, Leben in Schreiben und Schrift, Schreiben in Leben übersetzen: Erst in ein kleines, überall verfügbares Heft, später (im Elsass) ungeschönt, unredigiert abgetippt. Ein Experiment, sagen die begeisterten Feuilletonist:innen. Die Begeisterung ist unbedingt nachzuvollziehen, die Klassifikation als Experiment dahingehend nur bedingt. Oder alles (Schreiben) ist oder wird Experiment – denn das, was Lotz hier vorführt ist Schreiben, Schrift-Werden in aller Brüchigkeit, aller Unsicherheit, allem Umhergehen. Was wie ein Experiment wirkt, ließe sich genauso gut allgemeiner als Reflexion über Literaturproduktion lesen; was experimentell wirkt, ließe sich genauso gut als genaue Beobachtung begreifen: des (schreibenden) Selbst, der Umstände und Verortungen aus denen heraus geschrieben wird, der Umwelten, in die hinein geschrieben wird.
Nun hört sich das alles überaus verkopft an, möglicherweise trocken… was auf den Text aber keineswegs zutrifft. Sondern nur auf ein/dieses (unmögliches) Schreiben darüber. »Heilige Schrift I« entwickelt einen unglaublichen Sog. Die kurzen Einträgen ziehen hinein in ein gelebtes-geschriebenes Gewebe und treiben weiter und weiter, sodass die 900 Seiten mit allem, was darauf zur Verhandlung steht wie im Flug vergehen und man sich wünscht auch noch ein nächstes Jahr und noch eines mit zu lesen.
Eine Schriftstellerin im Dachgeschoss eines Münchener Wohnhauses überlegt, ob sich in den Schicksalen der anderen Hausbewohner*innen der Stoff für ihren neuen Roman finden ließe, doch verwirft diesen Gedanken schließlich: „Das Leben hier ergab einfach nichts“. Katharina Adler beweist in ihrem aktuellen Roman, dass die fiktionale Schriftstellerin hier falsch liegt.
Zentrale Figur des Romans ist die titelgebende Iglhaut, eine Schreinerin in ihren Vierzigern, die im Hinterhof arbeitet und lebt. Obwohl sie es keineswegs darauf anlegt, strahlt sie doch eine magnetische Kraft auf ihre Mitmenschen aus und wird zum Bindeglied zwischen den Hausbewohnern. Da wären Uli, der im Kreuzworträtsel eine All-Inclusive-Ägyptenreise gewinnt, obwohl er seine Zeit doch am liebsten zu Hause verbringt; der kiffende Pfleger Ronnie, der noch große Pläne hat; die alleinerziehende Supermarktverkäuferin Valeria, die mit ihrer Tochter in einer zu kleinen Ein-Zimmer-Wohnung lebt oder der Zenker und die Zenkerin, die ständig in Streit geraten. Abgesehen von dem Kreuzworträtselgewinn passiert eigentlich nichts Außergewöhnliches in dem Roman – doch genau das macht ihn aus. Es wird vom Besonderen im Gewöhnlichen erzählt, Alltäglichkeiten eines Jahres im Miteinander verschiedener Menschen, die eigentlich nur die Wohnanschrift eint. Letztlich zeigt der Roman, nicht zuletzt durch seine eigensinnige Sprache, dass das ganz normale Leben eben doch etwas ergibt, von dem es sich zu erzählen lohnt.
Flohling der kleine Waldwichtel hat alle Hände voll zu tun. Als Tierdoktor im Litteldorf, kümmert er sich immer fleißig um seine kranken Patienten. Doch zur Zeit häufen sich die Notfälle. Die kleinen Kinder des Dorfes wissen es nicht besser und bringen aus Versehen immer wieder Tiere in Gefahr. Woher sollen sie es auch wissen, wenn die Lehrerin krank ist und Ihnen keiner etwas über Tiere und Pflanzen beibringt. So beschließt der kleine Flohling zusammen mit seiner besten Freundin Lisbet, die Kinder in den Sommerferien zu unterrichten. Als wäre es nicht schon Abenteuer genug die kleine Kinderbande beisammenzuhalten und Ihnen die Natur näher zu bringen, beginnt ein neues großes Abenteuer, als sie im Flusslauf ein sonderbares Ei finden.
Auch der dritte Band mit Abenteuern aus dem Littelwald bringt den Lesern und Hörern die Liebe zur Natur näher. Eine Fantasievolle und lehrreiche Geschichte für kleine Wichtel ab 5 Jahren.
Taiwan ist die Wahlheimat Stephan Thomes. Es ist ein Land mit bewegender Geschichte, über die wir hier aber wenig wissen. Immer wieder wird die Insel zum Spielball der Weltmächte. Taiwan gehört in den 40er Jahren zum japanischen Kolonialreich. Umeko ist acht Jahre alt und stolz auf ihr gutes Japanisch. Ihr großer Bruder, den sie vergöttert, führt das örtliche Baseballteam an und hat die Chance auf die Handelsschule zu gehen. Vielleicht würde ihm damit der Sprung nach Japan gelingen. Die Armee errichtet in der Nähe der Kleinstadt ein Lager für ausländische Kriegsgefangene. Sie müssen in der Kupfermine schuften. Umeko und die Bewohner des Ortes geraten in einen Strudel aus Schuld und Verbrechen. Selbst siebzig Jahre später ist die Vergangenheit nicht abgestreift und die Enkel wollen wissen, was damals passiert ist.
Thomes Roman erzählt auf zwei Ebenen von Umeko und ihrer Familie, stellvertretend für Taiwan. Die spannende und ergreifende Geschichte wirft Fragen nach Identität und Heimat auf. Was bedeutet das für uns? Wem fühlt man sich zugehörig? Wer zusätzliche Informationen zu Taiwan möchte, dem sei die „Gebrauchsanweisung für Taiwan“ empfohlen, ebenfalls von Stephan Thome.
Es wird dünn. Und nun könnte man anschließen: Leider nur im übertragenen Sinn. Immerhin zählt Jonathan Lethems neuer Roman, »Anatomie eines Spielers«, fast 400 Seiten. Und die wollen irgendwie bewältigt werden. Ungefähr auf Seite 100 fiel die Frage auf die Seite, wo denn um nur das Lektorat steckte, wo Verlagsmitarbeit, wo eine Freundin, wo die Einsicht blieb, dass das Material für eine gute Kurzgeschichte – ein Format, das Lethem, wie bereits bewiesen, durchaus zu bespielen weiß, reicht, wohl aber nicht für 400 Seiten.
Ungefähr auf Seite 200: Triste Trauer, pathetisches Andenken – Epitaphe vergangener Lektüren. Blieb bei »Der wilde Detektiv«, in deutscher Übersetzung 2019 erschienen, noch die Hoffnung, dass etwas wiederkehrt, das ähnliche Sprengkraft hätte wie »Chronic City« (2009), »Die Festung der Einsamkeit« (2004) oder »Motherless Brooklyn« (2001) – gut und gerne noch wie »Der Garten der Dissidenten« (2013) …
Mag man denken wie der Spieler Alexander Bruno, dieser Schatten eines Protagonisten, der durch ein schwaches Narrativ von Berlin, über Singapur Backgammon spielend nach Kalifornien wabert, ließe sich Hoffnung als unsterblich ausbuchstabieren. Hier eher der bittere Geschmack, vergleichbar mit dem, nach einer gewonnen geglaubten, dann doch verlorenen Backgammon-Partie. Liegen lassen.
Stattdessen vier Tage freinehmen und langsam, aber mit Nachdruck, folgende Nummern bei der Buchhandlung Ihres Vertrauens telefonisch durchgeben: 3-932170-68-7; 3-932170-48-2; 978-3-608-50107-0.
„In Russland leben, heißt fähig zu sein, die Augen zu verschließen“ heißt es an einer Stelle im Roman von Filipenko. Was geschieht, wenn man weder Augen noch Mund geschlossen hält, davon erzählt „Die Jagd“.
Der investigative Journalist Anton Quint beschuldigt den politisch engagierten Oligarchen Wolodja Slawin sein Vermögen außer Landes gebracht zu haben. Während dieser in einem Fernsehinterview seine patriotische Liebe und Treue zu Russland vorheuchelt, verfolgt seine Familie die Übertragung von der opulenten Familienjacht an der Côte d’Azur aus. Wie kann sich dieser kleine Schreiberling erdreisten, sich mit dem mächtigen Slawin anzulegen? Er schwört Rache und es beginnt eine psychologische Hetzjagd gegen den jungen Journalisten, die ihn letztlich in den Wahnsinn treiben wird.
Sasha Filipenko ist bekannt für seine kritische Haltung gegenüber dem belarussischen und russischen Regime. Ungerechtigkeiten sowie Ungleichheiten zwischen Macht und Ohnmacht durchziehen sein Schreiben ebenso wie der Versuch eines gesellschaftlichen Psychogramms. Der im Original bereits 2016 erschienene Roman „Die Jagd“ ist durchsetzt von satirischen Einschüben, deren Sarkasmus und Zynismus, neben bissigem Witz immer zugleich eine Träne bezüglich der russischen Lebensumstände evoziert.
Das Schweizer Heiligtum, die Tell-Saga, neu erzählt. Kann das gut gehen?
Joachim B. Schmidt hat es versucht und es ist ihm gelungen. In kurzen, schnellen Sequenzen berichten verschiedene Akteure die Geschehnisse. Die Handlung nimmt immer mehr Fahrt auf. Alles läuft auf das dramatische Ende zu. Der Leser erfährt aber nebenbei auch historische Hintergründe und Familiengeschichte.
Das Leben auf einem armen Bauernhof, von anderen Ortschaften abgeschnitten in den Bergen, lässt sich schwer ertragen. Arbeit und Verzicht prägen den Alltag. Und Tell ist ein komplizierter Charakter, undurchsichtig und vor allem unnahbar, das Verhältnis zu seinen Kindern gestört. Doch es gibt ebenso Liebe, Verständnis und Solidarität in der Familie. Die Frauen spielen eine wichtige Rolle in diesem Gefüge.
Schmidt hat also keine Neuerzählung geschrieben, sondern einen rasanten Roman, einen Thriller, eben seinen „Tell“.
Alice Pantermüller
Die außergewöhnlichen Fälle der Florentine BLIX
Arena
Florentine BLIX ist ein außergewöhnliches 13 jähriges Mädchen und tickt etwas anders. Sie hat ihre Eigenarten. So liebt sie die Farbe Grün, also trägt sie nur grüne Kleidung. Auch teilt sie ihre Gefühle/Tage in Farben ein: Kleegrün für gut und Feuerlöscherrot für schlecht. Der Käse muss passgenau auf dem Brot liegen. Manche Dinge kann sie nicht so gut. Fahrradfahren zum Beispiel oder die Mimik ihrer Mitmenschen deuten und Redewendungen versteht sie oft nicht. Dafür weiß sie schon ganz genau, was sie später einmal werden will. Florentine möchte zur Polizei und ungelöste Kriminalfälle aufklären, denn das liegt ihr richtig gut.
Die Gelegenheit bietet sich nach den Sommerferien an, denn an diesem Tag passieren einfach zu viele seltsame Dinge. Ein neuer Mitschüler kommt in ihre Klasse, ihre Plüschtiere verschwinden, ihre beste Freundin Maja verhält sich plötzlich komisch und später taucht der verschwundene Cousin ihres neuen Mitschülers in ihrem Zimmer auf. Da ist sofort klar, dass Florentine und Maja versuchen diesem seltsamen Fall auf den Grund zu gehen.
Diese humorvolle spannende Geschichte wird mit kleinen Illustrationen, Listen und Zettelchen mit Florentines Notizen aufgelockert, aus denen man noch einiges lernen kann. Eine Lesevergnügen für alle ab 10 Jahren.
Wann liest man einen Text wie den, den die in Leipzig lebende Autorin Heike Geißler, mit »Die Woche« nun vorlegte? Und was ist das für ein Text, überhaupt? Ein Roman. Ein Märchen. Ein Essay. Ein Experiment … ? Fest steht, dass er lesenswert ist. Überaus. Und, dass er sich wandelt, entsprechend dem Datum, der Zeit, dem Ort, an dem man ihn liest.
Ich las ihn an einem Sonntag und der Text – zu dem Zeitpunkt kein Roman, wie der Verlag (Suhrkamp) es angibt – wurde zu einem wundersamen Spiegel- und Spukkabinett, denn vieles wurde (mir) klarer – eine Qualität funktionierender Spiegel – und vieles wurde (mir) unklarer – ein möglicher Nebeneffekt der Verkehrung? Klarer, dass, was Text kann und darf. Unklarer, dass, was darauf folgt. Montag? Danach wieder Montag, dann wieder Montag… Eine aus den Fugen geratene Woche, ein aus den Fugen geratenes Lesen? Oder gerade das Gegenteil: Ein Neuverfugen von Wochen, Tagen, Gegenwarten, Wirklichkeiten?
Und noch eines wurde (mir) klarer. Nämlich, dass es unmöglich ist, über einen Text zu schreiben, der sich nie gleichbleibt. Wie in Worte fassen, gießen, geißeln, was an und in sich derart flüchtig ist, wie die Zeichen in Heike Geißlers »Die Woche«.
Damit bleibt eigentlich nur: Selbst Teil des Textes werden. Selbst in den mehrfach gefalteten Spiegeln lesen und feststellen – dabei nicht festhalten –, dass etwas passiert. Dass es Auswirkungen hat.
I don’t like Mondays – dieses Buch dafür umso mehr!
Der Atrato ist der größte Fluss Kolumbiens. Von einer Reise auf diesem Fluss handelt der Debütroman von Lorena Salazar. Eine junge Frau und ihr achtjähriger Sohn fahren in einem schmalen Boot, mit ihnen andere Reisende. Links und rechts am Ufer gibt es wenige winzige Ortschaften, in denen Rast gemacht werden kann, ansonsten ist überall Urwald. Die Fahrt dauert mehrere Tage. Und je näher die beiden ihrem Ziel kommen, desto unruhiger wird die Frau. Für sie ist es eine Reise in ihre Vergangenheit; mit großer Bedeutung für die Zukunft. Immer wieder tauchen Fetzen von Erinnerungen auf und sie weiß, dass sich alles ändern kann, wenn sie ihr Ziel erreicht haben. Denn der kleine Junge ist schwarz und sie ist weiß und sie sind auf dem Weg zu seiner leiblichen Mutter.
„Ein Roman über atemberaubende Landschaften. Mutterängste und die Gewalt, die überall lauert.“ (Pilar Quintana)
1992 gelang Robert Schneider mit „Schlafes Bruder“ ein Welterfolg. Es folgten weitere Romane, Theaterstücke und Lyrikbände, bis es schließlich ruhig um ihn geworden ist. Nach 15 Jahren liegt nun mit dem „Buch ohne Bedeutung“ die erste neue literarische Veröffentlichung von Robert Schneider vor. Darin versammeln sich 101 kurze Prosastücke von weniger als zwei Seiten. Miniaturen, Fabeln und Sinngeschichten von lyrischer Dichte, Bruchstücke aus allen Ecken und Zeiten unserer Welt erzählt von Menschen, Tieren und Pflanzen. Hier diskutieren Schuhe, Bäume und Erdbeeren über Politik, Glauben und die großen Fragen der Menschheit. Ob heiter oder tiefgründig, offensichtlich oder hakenschlagend, eröffnet sich im „Buch ohne Bedeutung“ auf jeder Seite eine neue Perspektive auf die Welt und das Leben.
Tom kann nicht mehr schlafen, ein mächtiges Gewitter tobt über Internat Espenstein und als sich dieses wieder beruhigt hat, entdeckt er einen riesigen Schwarm Fledermäuse. Was ist da bloß los? Gemeinsam mit eurer Freundin gehen Tom und du zum Frühstück und findet weitere Merkwürdigkeiten. Auch ein seltsamer Zauberspiegel versucht euch in die Irre zu treiben. Was will er euch sagen? Und warum verhält sich die Schulsekretärin so merkwürdig? Schaffst du es zusammen mit deinen Freunden das Rätsel zu lösen? Gibt es vielleicht Vampire im Schloss?
Dieses neue Escape-Abenteuer auf Espenstein ist ein tolles Lesevergnügen, für alle Freunde die das Unheimliche und Rätsel lieben. Hilf deinen Freunden beim Lösen der Knobeleien. Und keine Sorge, wenn es einmal nicht klappt, dann denk noch einmal genau darüber nach.
Zum Stärken der Lesekompetenz ab 7 Jahren. Und ein kleiner Tipp für den Osterhasen – dieser und die vier anderen Teile der Reihe sind richtig coole „Ostereier“.
Krocket spielen, schaukelnd dem Sonnenuntergang zuschauen, gemeinsam Salat direkt vom Beet verspeisen, ein wenig an neuen Maschinen basteln… ja so schön und entspannt ist das Leben von Herrn Dachs und Schnecke Rakete. Bis zu dem Tag, als ein Bagger sie unsanft weckt und vom Dachsbau plötzlich eine Wand fehlt. „Räumungsbefehl!“ sagt der Maulwurf. „Widerspruch zwecklos!“ Dachs und Rakete sind geschockt, ein Freizeitpark soll auf dem Boden ihres Heims entstehen und sie haben gerade Mal eine Mittagspause lang Zeit, um sich zu überlegen, wo sie hin sollen und was sie alles mitnehmen sollen. „Folge einfach deiner Nase“ meint Rakete und so machen sie sich auf den Weg, vollbepackt mit allem was sie für wichtig halten. So beginnen viele neue Abenteuer für die beiden und sie gelangen in die Stadt. Nur hier weht ein ganz anderer Wind, als auf dem Land. Ob sie sich hier zurechtfinden?
Ein Buch voller turbulenter und lustiger Abenteuer über Freundschaft und das Gefühl von Heimat. Die liebenswerten Charaktere ziehen einen direkt ins Geschehen. Sie und die Handlung werden durch die farbenfrohen Illustrationen unterstrichen. Ein Lesevergnügen für alle ab 4 Jahren.
Als der Bestatter Heiko 2014 zu einem Unfallort gerufen wird, katapultiert ihn dieses Ereignis zurück in seine Kindheit und Jugend, denn der demolierte weiße Clio, den er dort vorfindet, war einst sein eigener und das Unfallopfer sein ehemals bester Freund Thomas. Er müsse Karsten kontaktieren. Doch begann nicht eigentlich alles mit dessen Weggang in die USA? Es beginnt eine Erinnerungsreise in das Nachwendeleipzig zwischen Einfamilienhaus und Plattenbau. Heiko, Thomas und Karsten sind seit Kindheitstagen ein unzertrennliches Trio. Für Thomas ist recht früh klar, dass er später den Schlachthof seines Vaters übernehmen wird, Karsten sprengt gerne Dinge in die Luft und will in die Abrisswirtschaft. Nur Heiko hat keinen Plan und beginnt eine Ausbildung zum Elektriker – lernt Kabel verlegen und Bier trinken. Während Karsten nach seiner Ausbildung die Möglichkeit erhält in der USA zu arbeiten, wurde Thomas’ Familienschlachterei inzwischen von einer international agierenden Großschlachterei verdrängt. Die Lebenswege der drei Freunde driften auseinander, bis der tödliche Unfall die Schicksale wieder zusammenfügt. Der Unfall und die Frage nach dem Verbleib der Bombe, die Karsten vor seinem Weggang zurückgelassen hatte.
Müllensiefen erzeugt in seinem Debütroman ein lebendiges Bild des Leipziger Arbeitermilieus der 1990er und 2000er Jahre und bevölkert dieses mit diversen skurrilen Figuren, die stets zwischen Witz und Ernsthaftigkeit oszillieren.
Hanya Yanagiharas neuer Roman »Zum Paradies«, der auf das atemnehmende, epische »Ein wenig Leben« folgt, platzt aus allen Nähten, wobei die Leser:innen das Nähzeug in und zwischen den Zeilen geliefert bekommen, um Flicken und Nähte, Risse und Löcher (wieder) zusammensetzen zu können. Hierfür bedarf aber der Mitarbeit und des (guten) Willens.
Angelegt in drei ungleichen Teilen kreist der 900-Seiten-starke Roman um das titelgebende Paradies und folgt, in der Kreisbewegung, möglichen wie unmöglichen Wegen dorthin. Eine invertierte Göttliche Komödie. Gleichsam referenzgeladen, gleichsam voller Leben: Abgründe, Hoffnung, irgendwo zwischen Verdammung und Heil. Nur, dass die Leser:innen hier keine kundigen Führer an die Seite gestellt bekommen, sondern sich selbst führen und entlang der platzenden Nähte ihren Weg finden müssen.
Zusammengehalten werden alle drei Teile und damit Zeitebenen, durch einen Ort: Manhattan, New York. Genauer eine Villa am Washington Square. Zudem über die Namen der Protagonist:innen, die immer wiederkehren, sich darin aber nicht gleich bleiben, sondern in verschobener Anordnung stehen. Es sind Namen, nichts weiter – oder doch? Es ist eine Adresse, nichts weiter – oder doch?
Im Vergleich zu »Ein wenig Leben« wie auch Yanagiharas Debütroman »Das Volk der Bäume« ist der Gang durch das Netz, das sich zwischen 1893 und 2093 aufspannt, etwas fad und langwierig. Besonders der längste, dritte Teil, in dem ein dystopischer Blick im Sci-Fi-Format auf unsere Gegenwart geworfen wird, belastet. Nicht zuletzt, da hier historische Parallelen und Referenzen gezogen werden, die politisch teils durchaus problematisch erscheinen. Was nicht oder nur sehr bedingt eingeholt wird.
Sehnlich erwartet, liegt »Zum Paradies« nun leider etwas (zu) schwer im Magen.
Butter hält diese Geschichte zusammen und ist der „rote Faden“ des Romans. Sie schmilzt über Nudeln, Reis, Gemüse, Fisch. Man schmeckt sie förmlich beim Lesen. Die Journalistin Rika recherchiert über die vermeintliche Serienmörderin Manako Kajii. Sie soll Männer mit ihren Kochkünsten verführt und anschließend umgebracht haben. Es gelingt Rika sie besuchen zu dürfen, denn eigentlich lehnt die Gefangene jegliche Unterhaltung ab. Für weitere Gespräche stellt Manako Bedingungen. Rika soll kochen mit Butter, essen und beschreiben, was mit ihr passiert. Für Rika tut sich eine ganz andere Welt auf. Genuss beim Essen kannte sie ebenso wenig wie die Freude am Kochen. Zwischen beiden Frauen entsteht eine ambivalente Beziehung und die Frage, ob Manako eine Mörderin ist, tritt in den Hintergrund. Rika wird aufgefordert zu hinterfragen, ob ihre Vorstellungen von Karriere, Liebe, Partnerschaft wirklich ihren Wünschen entspricht. Oder sie nur dem folgt, was die Gesellschaft erwartet.
Dieser Roman würde in Japan ein Überraschungsbestseller und wird auch hier seine Leser:innen finden.
1538 bricht Hernando de Soto, Ferdinand Desoto, zu einer Expedition auf um sein El Dorado zu entdecken und zu erobern. Sein Ziel ist nicht Südamerika sondern das Gebiet der heutigen USA.
Diesen erfolglosesten aller Eroberungsfeldzüge der Geschichte macht Franzobel zum Thema seines Romans. De Soto hat Erfahrung mit der Unterwerfung indigener Völker, schließlich begleitete er Pizarro nach Peru. An Grausamkeit, brutalste Gewalt und Gemetzel ist er gewöhnt. Und so zieht er eine blutige Spur der Verwüstung, ausgehend von Florida, durch den Süden Amerikas. 500 Jahre später klagt der Anwalt Trutz Finkelstein gegen die USA und fordert die Rückgabe des gesamten US-Gebietes an die indigene Bevölkerung.
Franzobel Roman wäre schwer erträglich zu lesen, zu genau sind seine Schilderungen. Der skurile Humor des Autors macht es möglich, auch wenn dem Leser das Lachen im Hals stecken bleibt.
Nach ihrer Promotion zieht sich Catherine Raven in die Berge Montanas zurück. Sie hat dort Land gekauft und ein Cottage gebaut. Einsam ist es dort, doch der Kontakt zu den Menschen fehlt ihr nicht. Dafür beobachtet sie die Natur, die Tiere und Pflanzen um sich herum. Eines Tages bemerkt sie einen Fuchs auf ihrem Grundstück und er kommt immer wieder. Und Catherine beginnt ihm vorzulesen.
Dieses Buch erzählt die Geschichte der einzelgängerischen Biologin Raven und eines wilden Fuchses. Sie ist der rote Faden. Und nebenbei erfahren wir viel über die Wildnis in den Bergen, wie in einer Naturbeschreibung oder einem Reisebericht.
Man muss sich darauf einlassen.
Im Mai 1964 treffen in Berlin beim von der FDJ initiierten Deutschlandtreffen Jugendliche aus Ost- und Westdeutschland aufeinander. Hier lernt der westdeutsche Student Kaspar die aufgeweckte Birgit kennen. Sie verlieben sich und Kapsar hilft ihr schließlich über Prag und Wien in die Bundesrepublik zu fliehen. Doch dieser nachträglich erzählten Liebesgeschichte steht im Roman ein dramatisches Ereignis bevor. Nach Jahrzehnten des gemeinsamen Lebens, während deren Kaspar Erfüllung in seiner Buchhandlung findet und Birgit sich immer mehr zu Hause einkapselt und dem literarischen Schreiben widmet, findet er sie eines Abends ertrunken in der Badewanne. Beim Sichten ihrer Textfragmente stößt Kaspar auf ein Geheimnis, das Birgit ihr Leben lang vor ihm verborgen hatte – als sie sich verliebten war Birgit schwanger, gebar das Kind heimlich und gab es weg. Nun versucht Kaspar, woran Birgit scheiterte – dieses Kind ausfindig zu machen. Es beginnt eine Suche, die ihn sowohl in Birgits DDR-Vergangenheit als auch zu völkischen Siedlern in der mecklenburgischen Provinz führt.
Zurück in der Wiener Straße – Berlin Kreuzberg in den 1980ern. Ein Milchkaffee-Hype greift um sich und so wendet sich auch Erwin dem Trend zu und lässt Frank Lehmann im Café Einfall fleißig Milch aufschäumen – mit gemischten Reaktionen. Währenddessen wollen Charlie, Ferdi und Raimund mit ihrer neu gegründeten Band „Glitterschnitter“ auf der Wall City Noise auftreten. Doch zuvor müssen sie sich einigen, wie sie die Lautstärke der Bohrmaschine in Bezug auf Schlagzeug und Synthie regeln. P. Immel und Kacki von der ArschArt-Galerie wollen die „Intimfrisur“ zum „Café an der Wien“ umfirmieren und H.R. Ledigt soll ein Bild malen, will aber lieber eine IKEA-Musterwohnung zur Ausstellung bringen.
„Glitterschnitter“ ist wieder mal ein typischer „Regener“ – kuriose Charaktere, grandiose Dialoge in Manier feinster Tresenphilosophie und ein Kopfkino, das noch immer besser ist als jede Verfilmung.
Aurelie besitzt ein kleines, feines Restaurant in Paris. Vor wenigen Monaten hat sie es von ihrem Vater übernommen, der plötzlich verstarb. Das Kochen bedeutet viel für sie. Dabei kann sie ihrer Phantasie freien Lauf lassen, findet Ruhe und Befriedigung. Bücher liest sie eher selten. Und doch sind es ein Buch und sein Autor, die ihr Leben auf den Kopf stellen.
Aurelies Freund verlässt sie und so läuft sie unglücklich durch Paris und landet schließlich in einer kleinen Buchhandlung. Ein Roman findet ihre Aufmerksamkeit. Das Restaurant und seine Besitzerin kennt sie ganz genau: es ist ihres und die beschriebene Besitzerin sie selbst. Aber wer ist der Autor und woher kennt er das Lokal und Aurelie? Und so beginnt sie zu forschen, schreibt an den Verlag und versucht, Kontakt zum Schriftsteller aufzunehmen. Doch irgendwer stellt sich immer wieder in den Weg.
Dieser Roman ist unterhaltsam, romantisch und witzig. Er macht Lust auf eine Reise nach Paris oder, wenn das gerade nicht geht, wenigstens französische Küche.
Neal Shusterman
Game Changer. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, alles falsch zu machen
Fischer Sauerländer
Ash ist ein ganz normaler Junge, fährt ein klappriges Auto, hat sich in seinem Footballteam etabliert und nervt seinen kleinen Bruder. Eigentlich hat er es ganz gut getroffen. Bis er eines Tages bei einem Tackle in eine andere Dimension katapultiert wird und plötzlich alles anders ist, Stoppschilder sind blau, Freunde sind weg und dafür sind Fremde hinzugekommen. Es dauert eine Zeit lang, bis Ash versteht, dass er der Ursprung für diese Veränderung ist. Er hat es in der Hand, aber es ist leider nicht so einfach, schnell kann eine kleine Änderung unvorhergesehene Auswirkungen haben. So führt er versehentlich die Rassentrennung wieder ein und ist daraufhin arg bemüht, diesen Fehler wieder gerade zu biegen. Wird er die richtigen Entscheidungen treffen?
Dieses Buch greift aktuelle sozialkritische Themen wie Rassismus, Homophobie und Frauengleichstellung auf, verpackt diese in einer spannenden Geschichte über Parallelwelten, die zum Nachdenken anregt. Ab 14 Jahren.
Als im März 2021 die Passagiere in New York ihren Flieger aus Paris verlassen, ahnen sie noch nicht, dass ihr Leben weitaus mehr durchgerüttelt werden wird, als während der Turbulenzen im Himmel. Drei Monate später nämlich landet exakt die selbe Maschine mit den selben Passagieren erneut. Wie kann das sein? Und was bedeutet das für die nun eigentümlich doppelt existierenden Passagiere und das Leben im Allgemeinen? Diese Krux bildet den Kernpunkt im neuen Roman des Oulipo-Präsidenten Hervé Le Tellier. Politiker, Geistliche und Wissenschaftler versuchen, der Bedeutung und Lösung dieser Problematik ebenso auf die Spur zu kommen wie ausgewählte Passagiere beider Flieger, die sich nun mit ihren Doppelgängern konfrontiert sehen. Philosophisch, experimentell, witzig, spannend sowie gespickt mit Kniffen, Anspielungen und Wendungen bereitet „Die Anomalie“ ein großes Lesevergnügen.
Drei Frauen stehen im Mittelpunkt des neuen Romans von Stradal. Da ist zuerst Edith. Das Leben hat sie nicht verwöhnt, aber sie hat sich eingerichtet und ist zufrieden. Dann stirbt ihr Mann und gleichzeitig muss sie die Verantwortung für ihre halbwüchsige Enkeltochter Diana übernehmen. Das stellt Edith vor große Herausforderungen. Es reicht vorn und hinten nicht mehr.
Ediths Schwester Helen dagegen hat ihren Traum verwirklicht. Vom Vater mit dem Familienerbe bedacht, gelingt es ihr, eine große Brauerei aufzubauen.
Als Diana die Kasse ihrer Großmutter aufbessern will, wird sie beim Diebstahl erwischt. Aber sie darf ihre Schulden in einer Brauerei abarbeiten. Und dort fängt sie Feuer und mischt schon bald einzigartige Craft-Biere. Ihrer Großtante Helen passt das gar nicht.
Dieser Roman über mutige Frauen, Neuanfang und das Leben überhaupt ist ein Lesevergnügen und keineswegs nur für Bierkenner und -liebhaber.
Der Herbst kündigt sich an und die Waldbewohner suchen eifrig nach Vorräten, nur das Eichhörnchen Lenni hat andere Prioritäten. Während er entspannt im Baumwipfel schwingt, überlegt Eichhörnchen Finn wo er noch mehr Samen unterbringt. Plötzlich entdecken beide den letzten Zapfen des Jahres, der zählt für beide anscheinend wie Bares. Ein wilder Wettstreit beginnt zwischen den Zweien, denn der Zapfen kann ja nur einem gehören. Oder?
Dieses wunderschön illustrierte Bilderbuch handelt von Freundschaft und davon, wie schwierig das Teilen doch ist. Doch zeigt es auch, dass du gemeinsam lachend viel glücklicher bist. Ein Buch zum Lesen, Anschauen und im Herzen bewahren für alle Hörnchen und andere ab drei Jahren.
Eugenia Errazuriz, geboren 1860, war Stilführerin in Paris. Vor allem aber förderte sie junge unbekannte Menschen. Sie hatte ein untrügliches Gespür für Talente. Errazuriz unterstützte Picasso und ebnete Coco Chanel den Weg in die Mode.
Ihr „letztes Talent“ war der Innenarchitekt und Designer Jean-Michel Frank. Um ihn, den Juden und Homosexuellen, zu schützen, überzeugt sie ihn 1937, mit ihr nach Patagonien zu reisen. Er soll dort ein großes Hotel ausstatten. Die lange Schiffsreise bietet die Möglichkeit des Rückblicks, auf Paris, Künstler und Freunde. Aber auch auf das eigene Leben. Nachdem seine Brüder im Ersten Weltkrieg gefallen waren, beging sein Vater Selbstmord. Seine Mutter wurde in eine Nervenheilanstalt eingeliefert. Frank selbst, seit seiner Geburt behindert und schwerst depressiv, versucht seinen Weg zu finden. Und das gelingt. Noch heute werden Möbel nach seinen Entwürfen hergestellt.
Durch genaue Kenntnisse ihrer Figuren und der Epoche, Einfühlungsvermögen und sprachliches Können gelingt Jana Revedin auch mit diesem Buch ein fesselnder, biographischer Roman.
Die Oberlausitz in der Gegenwart. Jan ist in seinen Dreißigern und arbeitet als Pfleger im Kamenzer Krankenhaus. Doch dieses wird bald geschlossen – wie das meiste in der Region. Als er von seinem Klienten Günter Kern einen Schuhkarton überreicht bekommt, öffnet sich die Vergangenheit. Nicht nur seine eigene, sondern auch die der Familie Kern mit Günters berühmt gewordenem Bruder Georg Baselitz. Doch welche Verbindung gibt es zwischen diesen beiden Familien? Und welche Geheimnisse hütete Jans Mutter vor ihm?
Wie bereits in seinem Debütroman „Mit der Faust in die Welt schlagen“ beschäftigt sich Lukas Rietzschel auch in „Raumfahrer“ mit der ostdeutschen Mentalität. Standen dort Radikalisierungstendenzen der Nachwendezeit bis zum Erstarken der PEGIDA-Bewegungen im östlichen Sachsen thematisch im Mittelpunkt, werden hier Familienschicksale und regionale Entwicklungen in und nach der DDR-Zeit in den Blick genommen. In einer Mischung aus Sittenbild, Generationen- und Künstlerroman springt der Text zwischen verschiedenen Zeit- und Erzählperspektiven, bis die Einzelteile sich schließlich zu einem Gesamtbild zusammenfügen.
Plötzlich ist er da, ein neuer Lebensabschnitt. Der Kindergarten weicht der Schule, der Rucksack dem Ranzen und das Toben und Spielen dem Lernen. Auch heißt es Abschieden nehmen vom Kindergarten, wer wird dann mit einem in die Klasse gehen? Werden die Lehrer nett sein? Da kann einem schon etwas mulmig werden.
Mit seinen Geschichten über das Bauchkribbeln und Herzklopfen, beim langen Warten auf den ersten Schultag, das Freunde finden und Lernen, ist das Buch der perfekte Begleiter für den Start in das Schulleben. Vielleicht entdeckt der ein oder andere auch einmal Fledermäuse auf dem Dachboden der Schule, bändigt wilde Schlangen zu Schleifen oder es taucht plötzlich ein Pony auf dem Schulhof. Die Schule wird auf jeden Fall ein ganz großes Abenteuer.
Ein Vorlesebuch für alle, die sich die Wartezeit auf die Schule verschönern wollen, ab 5 Jahren.
„W“ steht für „Woyzeck“. Und dieser Name steht für ein Motiv, das seit Georg Büchners Dramenfragment von sämtlichen Kunstformen adaptiert wurde. In seinem neuen Buch geht Sem-Sandberg den Spuren der historisch verbürgten Person nach. Der Roman eröffnet mit der Tat – dem Mord an der Witwe Johanna Woost. In den Verhören vor der Rechtsprechung entfaltet Woyzeck sein Leben vom ersten Kontakt zu Johanna, als er als Zehnjähriger bei ihrem Stiefvater in die Lehre ging, über seine Wanderjahre mit verschiedenen Anstellungen und den Soldatenjahren im napoleonischen Krieg, der ihn quer durch Europa treibt, bis zu seiner Rückkehr nach Leipzig und dem erneuten Zusammentreffen mit Johanna. Der Verhörende muss die Frage der Schuld und Zurechnungsfähigkeit Woyzecks während der Tat klären. Dass der Autor diese Frage nicht eindeutig klärt, gehört zu den Stärken des Romans. Stattdessen zeichnet er den Lebensweg eines Menschen nach, der früh seine Mutter verloren hat, anschließend seinen Vater an den Alkohol, und den es fast etwas zu naiv und gutmütig ins Leben treibt. Als Lesende leiden wir mit Woyzeck in seinen scheiternden Liebesbeziehungen und den eindrücklichen Kriegserlebnissen. Und am Ende müssen wir die Schuldfrage für uns selbst klären. „W.“ ist zugleich äußerst ereignisreicher historischer Roman und spannendes psychologisches Porträt.
Ein neues Buch von Stefan Schwarz. Das bedeutet: gute Unterhaltung! Diesmal wird die Filmbranche unter die Lupe, beziehungsweise aufs Korn, genommen. Tom Funke ist die deutsche Stimme des Hollywoodstars Bill Pratt. Und da dieser gerade auf einer Welle des Erfolgs schwimmt, geht es auch Tom gut. Er hat eine neue Flamme, will in einer teuren Gegend ein Haus erwerben und nun kommt der Schauspieler selbst nach Deutschland zur Premiere des neuen Films und möchte seine Synchronstimme kennenlernen. Aber diese Begegnung hat Folgen, denn der Star hat eine Bitte. Und der nächste Morgen bringt einen handfesten Skandal ans Licht und Funkes Welt ist am Zusammenbrechen. Tom muss handeln und das tut er.
Stefan Schwarz, der Meister des hintersinnigen Humors, schreibt über einen Mann, der ungeahnt in Schwierigkeiten gerät, weil er seine Stimme jemand anderem leiht und damit sein Leben aus der Hand gibt. Und es beginnt eine rasante, komische Fahrt, die anders endet als erwartet.
Hengameh Yaghoobifarah
Ministerium der Träume
Blumenbar
Es ist eine wirklich interessante Mischung – irgendetwas zwischen Großstadt-, Entwicklungs- und Kriminalroman. Dazu eine Prise ‚Road Movie‘. Bevölkert wird der Roman vorwiegend von vordergründig migrantisch gelesenem Personal – insbesondere den Vertreter*innen der zweiten und dritten Generation, die sich gerade vielerorts aufmachen, ihre Geschichten zu erzählen und sich somit eine eigene Identität zu erschreiben. Irgendwo im Niemandsland zwischen den Zuschreibungen der Eltern und den Erwartungen der gemeinen Kartoffel (darf ich das als Kartoffel überhaupt schreiben? Und bitte nicht angegriffen fühlen, liebe mitlesenden Co-Kartoffeln.). Neben Identität geht es um Rassismus – ob in der kleinen Geste oder im großen Vorurteil – um Freundschaft und darum, was das bedeutet, um die Frage, was wir voneinander wissen (können). Dennoch ist das hier kein Diskursroman, kein trockenes quasi philosophisches Lehrstück, sondern eine unterhaltsame und bewegende Geschichte.
Hengameh Yaghoobifarah kann schreiben. Den Namen sollte man sich nicht nur wegen ihrer gelegentlich leicht provokanten Kolumnen-Texte merken, sondern auch im Zusammenhang mit guter Literatur.
Frank Schwieger
Ich, Zeus, und die Bande vom Olymp
dtv
13,95 € (Gebunden)
9,95 € (Kartoniert)
8,99 € (E-Book)
30,00 € (Hörbuch)
Ihr wollt Geschichte einmal anders erleben? Dann ist dieses Buch ein super Tipp für euch. In diesem Freundebuch nehmen es die Götter und Helden selber in die Hand, endlich allen die unverfälschte Wahrheit über sich zu berichten. Ein jeder stellt sich mit Bild und Steckbrief kurz vor und berichtet aus seinem spannenden und aufregenden Leben. So lernt man auf sehr amüsante und witzige Art und Weise die griechische Mythologie kennen. Könnt ihr euch vorstellen, warum Achilles in Mädchenkleidern herumlief? Oder was ein Apfel mit dem trojanischen Krieg zu tun hatte? Oder wusstet ihr, dass Zeus so viele Kinder gezeugt hat, dass er selber den Überblick über die Anzahl verloren hatte?
Dieses Buch ist informativ und lehrreich und weckt mit seiner humorvollen Art das Interesse an der Mythologie und sorgt bei Groß und Klein für Unterhaltung. Für alle Helden ab 10 Jahre.
Wer dieses Buch schon toll fand und vielleicht noch ein wenig mehr über Geschichte lernen möchte, der kann sich gern auch die weiteren Bände über die Wikinger, Römer und Ritter mal anschauen.
Julius Fischer
Ich hasse Menschen, Bd. 2
Voland & Quist
Der Ich-Erzähler in Julius Fischers neuem Buch durchlebt gerade nicht unbedingt die beste Phase seines Lebens. Seine Frau will sich vom ihm scheiden lassen, ihr neuer Freund ist ausgerechnet sein Bandkollege Kilian und alle Freunde sind mit ihrem Nachwuchs voll und ganz beschäftigt. Dummerweise fehlt es dem Erzähler auch an Durchsetzungsvermögen und so erklärt seine (Ex-)Frau die gemeinsame Wohnung und das Auto kurzerhand zu ihrem Eigentum. Da kommt es sehr gelegen, dass der Großvater ihm seinen ehemaligen Gasthof „Deutsches Haus“ im ostsächsischen Sucknitz vererbt. Die Chance für einen Neuanfang? Doch wie soll es der Städter unter „Bauern, Hippies und Nazis“ in der ostdeutschen Provinz aushalten? Und was gehört eigentlich alles dazu, ein Gasthaus zu restaurieren und erfolgreich zu eröffnen?
Julius Fischer kreiert in seinem neuen Roman ein ganzes Arsenal an skurrilen Charakteren – viele neue und ein paar altbekannte. Es werden Klischees bedient und aufgebrochen, Kalauer wechseln sich mit gekonnt konstruierter Situationskomik ab und die misanthropische Einstellung des Erzählers wird im Laufe des Romans zusehends auf die Probe gestellt. Wie bereits beim Vorgänger „Ich hasse Menschen. Eine Abschweifung“ handelt es sich auch hier wieder um eine äußerst kurzweilige und unterhaltsame Lektüre.
Bath 1865. Clorinda hat den langsamen Tod ihrer Mutter begleitet. Jetzt ist sie aus Dublin hierhergekommen. Sie möchte endlich selbst über ihr Leben bestimmen und so verkauft sie das einzige wertvolle Erbstück. Mit „Mrs. Morrisseys elegantem Teesalon“ erfüllt sie sich einen Traum. Und während sie Zitronenkuchen, Scones und Erdbeermarmelade verteilt, wird sie Zeuge des Lebens Anderer. Die begnadete Krankenschwester Jane, die die Heirat mit einem Arzt ausschlägt und nach London geht. Und eben jener Arzt, der die Kränkung nicht erträgt und England verlässt, um seinen Bruder im Dschungel zu suchen.
Rose Tremain versteht es Geschichten zu erzählen. Dieser Roman ist voller Abenteuer und Sinnlichkeit. Eine Lektüre für den Liegestuhl mit einem Glas Wein an der Seite.
Bücher sind etwas ganz tolles. Das finden auch die vier tierischen Freunde. Der Hase mochte aufregende und abenteuerliche Geschichten, der Igel liebte es, wenn sie ein gutes Ende nahmen und Maus und Fuchs mochten es, gemeinsam zu lesen. Die vier hatten jedoch nur ein Buch, welches Sie sich jeden Abend gegenseitig vorlasen. Eines Tages beschlossen sie, sich auf die Suche nach neuen Büchern zu machen. Vielleicht kann man sie ausbuddeln? Oder fallen sie wie Sternschnuppen vom Himmel? Doch dann kam es Ihnen vor wie in einem Traum, als sie ein Haus voller Bücher fanden. Dort gab es so viele verschiedene Bücher. Wem gehören sie bloß? Doch plötzlich hören die Freunde ein immer lauter werdendes Stapfen…
Diese Liebeserklärung an Bücher und das Lesen ist für kleine Zuhörer ab 3 Jahren. Die wunderschönen Illustrationen laden zum längeren anschauen ein und überall gibt es Kleinigkeiten zu entdecken. Am besten kuschelt man sich gleich zusammen und liest dieses Buch gemeinsam.
Ein abgelegenes russisches Dorf um das Jahr 1918. Dass die russische Revolution bereits stattgefunden und sich somit ein gewaltiger Umbruch im riesigen Land vollzogen hat, ist in dem Dorf noch nicht angekommen. Doch auch dort gibt es einen Widerstreit zwischen Altem und Neuem – personifiziert durch die beiden „Dorfältesten“ Ilja und Pjotr. Ilja ist im Besitz eines mit Quecksilber gefüllten Glasröhrchens, mit dem er das Wetter vorhersagen kann. Pjotr hält nicht viel von diesem Röhrchen und bezieht sein Wissen lieber aus den Betrachtungen des Flusses und des Himmels. Eines Tages fällt Iljas Frau ein Messer auf den Boden und man weiß, was dieses Zeichen bedeutet: Ein Mann kommt ins Haus. Kurze Zeit später taucht ein Fremder in Offiziersuniform im Dorf auf – und bleibt.
Marfutovas Debütroman ist gespickt mit Anspielungen, Metaphern, sowie Spiegelungen von Glauben und Wissen, Altem und Neuem, Innen und Außen. Märchenhaftes vermischt sich mit revolutionären Ideen in einer Sprache, die so ungewöhnlich ist, dass sie einen sofort in ihren Bann zu schlagen vermag und auf jeder Seite erneut zum Schmunzeln bringt.
Es ist wieder eine besondere, eine eigene Sprache, die man nach wenigen Sätzen der Autorin zuordnen könnte, wenn man nicht wüsste, wessen Roman man gerade liest. Es ist wieder langsam erzählt, kein voller Plot, in dem ein Ereignis das nächste jagt. Es ist genau, es ist stark in den Details, präzise Bilder und Beschreibungen, die Stimmungen erzeugen, Assoziationen aufrufen. Es ist Judith Hermann.
Wie der Titel schon vermuten lässt, ist der Roman eine Auseinadersetzung mit Zugehörigkeit, mit dem Gefühl des Zu-Hause-Seins, mit dem (Er-)Finden einer Heimat. Die Protagonistin ist nach einem ganzen halben Leben ans Meer gezogen, ein kleiner Ort, in dem auch ihr Bruder, der sein Leben ebenfalls nicht vor Ort verbracht hat, gelandet ist. Sie arbeitet bei ihm in der Kneipe, die Nachbarin wird schnell zur Freundin – wie sollte es auch anders sein, sie wohnt schließlich gleich nebenan. Auch deren Bruder, den Bauern, der den elterlichen Hof übernommen und erweitert hat, lernt sie kennen, fühlt sich angezogen. Dem Exmann schreibt sie kleine Briefe – Miniaturen. Die Tochter schickt GPS-Koordinaten von fernen Orten, an denen sie sich gerade befindet – und ist auch sonst recht fern.
Es ist ein Versuch. Geht das: Wurzeln schlagen?
Ja, Hunter Biden ist der Sohn des US-Präsidenten und ja, in diesem Buch geht es nicht ohne Politik. Und ja, er ist privilegiert. Schon als Kind geht er in Staatsgebäuden ein und aus, Senatoren spielen mit ihm. Aber hier erzählt Hunter Biden seine ganz persönliche Geschichte.
Der frühe Verlust der Mutter, sie starb bei einem Autounfall als Hunter zwei Jahre alt war, hat ihn geprägt. Sein Vater versuchte, zusammen mit der ganzen Familie, den Schmerz zu lindern. Beau, der älteste Sohn, wird die wichtigste Bezugsperson in Hunters Leben. Die beiden Brüder sind unzertrennlich. Doch während Beau seinen Weg geht und Verantwortung für andere übernimmt, stürzt Hunter immer wieder ab. „Wir waren zwei Seiten einer Medaille. Der größte Unterschied zwischen uns beiden war: Ich trank, Beau trank nicht.“ Hunter Biden berichtet schonungslos von seinem Absturz in die Drogenhölle, vom Kampf mit den Dämonen des Alkohols.
Diese Beichte bewegt von der ersten bis zur letzten Seite.
Bühlerstädt ist eine Kleinstadt, wie es sie recht häufig gibt. Dort ist das Leben noch ruhig und beschaulich. Aber leider nicht immer, denn auch hier treiben Gauner ihr Unwesen. Zum Glück gibt es die vier Kinder Trixi, Anton, Moritz und Paul, die ihre Umgebung sehr genau wahrnehmen und den Ganoven den Kampf ansagen. Dabei kommt ihnen gelegen, dass Anton davon träumt, einmal Kriminalkommissar zu werden. So tüfteln sie gemeinsam an Plänen, um Dieben und Einbrechern einen Strich durch die Rechnung zu machen. Und was dabei blaue Sprühfarbe für eine Rolle spielt, findet ihr am besten selber heraus.
Der Markkleeberger Autor Levin hat in diesem Buch neun spannende Krimigeschichten für Leser von 9 bis 12 Jahren geschaffen. Neben ausgeklügelten kriminalistischen Plänen handelt das Buch auch von Freundschaft, Verantwortung und Generationen. Ein idealer Tipp für alle jungen Krimifans.
Zum Schutz vor den Nationalsozialisten schickt die dem Republikanischen Schutzbund angehörende Eva ihre beiden Söhne Slavko und Karl 1934 von Wien aus gen Osten. Zunächst verbringen die beiden Ferien auf der Krim und gelangen anschließend mit weiteren „Schutzbundkindern“ nach Moskau in eine eigens für sie als Heim umfunktionierte Villa. Doch die Fürsorge und das Wohlwollen der Sowjetunion den deutschsprachigen Kindern gegenüber wandelt sich, nachdem Hitler seinen Pakt mit Stalin bricht. Slavkos Spuren verlieren sich, Karl verbringt einige Zeit als Straßenjunge, wird aufgegriffen, gelangt in eine Besserungsanstalt und landet schließlich als „Volksfeind“ für zehn Jahre im Gulag. Dort lernt er zum Ende seiner Haftzeit die Russin Nina kennen, seine zukünftige Ehefrau und Mutter der Autorin. Gemeinsam kehren sie nach Karls Entlassung nach Österreich zurück, doch Nina leidet an gewaltigem Heimweh. Die weltpolitische Lage hat sich beruhigt, doch die Krise im Privaten beginnt…
Nach dem Lesen dieses dünnen Buches hat man das Gefühl einen komprimierten 800-Seiten-Roman gelesen zu haben. Wie bereits in ihrem ersten Roman „Im Verborgenen“ verarbeitet Arnautović in „Junischnee“ ihre eigene Familiengeschichte. Stand dort Ihre Großmutter im Fokus, sind es hier nun ihre Eltern. Schlicht erstaunlich ist, wie pointiert und konzentriert sie in diesem Roman deren Einzelschicksale über Jahrzehnte nachzeichnet und auf den wenigen Seiten eine Intensität erzeugt, die nach der Lektüre lange nachhallt.
Christian Kracht ist ein Spieler. Und er nimmt das Spiel sehr ernst. In Eurotrash spielt er – wie schon in Faserland von 1995 – mit der eigenen Biographie bzw. der eigenen Identität. Ein Spiel unter veränderten Vorzeichen. 25 Jahre später und mit der Schweiz als Ausgangspunkt statt als Endpunkt einer Reise.
Der Protagonist ist anders als in Faserland nicht nur über biographische Details mit dem Autor assoziiert, sondern hier gewissermaßen mit diesem identifiziert. Er trägt den Namen Christian Kracht, genauso wie sein Vater, der Karriere im Springer-Konzern gemacht hat und vor einigen Jahren gestorben ist. Aber spätestens hier fängt es an: hat letzterer seinen US-amerikanischen Universitätsabschluss und die anschließende Anstellung beim San Francisco Chronicle tatsächlich erfunden und die „Beweisfotos“ gefälscht? Welcher Christian ist der Fälscher? Und wie steht es um das Bild, das von der Mutter gezeichnet wird, um die es hier eigentlich geht, mit der der Sohn auf Reisen geht. Von diesen Fragen ist es nicht weit zu den großen Fragen nach der Öffentlichkeit, nach der Identität, nach der Wahrheit. Neben diesen Themen, die immer mitlaufen, geht es auch ganz konkret um Missbrauchserfahrungen, Meckibücher und Marlene Dietrich. Und natürlich wieder um das Hereinreichen des vermeintlich historischen Nationalsozialismus in unsere Gegenwart.
Wieder mal ein Buch von Christian Kracht, das voller Bezüge steckt, das hunderte Fährten auslegt, denen man folgen kann, das Oberfläche mit Tiefe verbindet, über das man wissenschaftliche Abhandlungen schreiben kann, das man aber auch einfach nur mit Vergnügen lesen kann.
Die griechische Insel Hydra ist Schauplatz des Romans von Polly Samson. Für diesen hat sie einen faszinierenden Stoff gefunden. Von 1960 bis 1967 war die Insel Lebensmittelpunkt einer kleinen Künstlergemeinschaft um den großen Leonard Cohen. Der Musik hatte er sich noch nicht verschrieben, aber als Schriftsteller schon einige Berühmtheit erlangt.
Die Protagonistin Erica Hart kommt auf Einladung einer Freundin nach Hydra. Mit Jimmy genießt sie Sonne und Meer und lernt die neue Freiheit zu lieben. Erica bewundert ihre Mitbewohner für deren kompromisslose Suche nach einem anderen Leben. Aber es ist nicht alles eitel Sonnenschein und die Beziehungen der Freunde sind einem ständigen Wandel unterworfen. Spannungen bleiben nicht aus. Paare trennen sich…
Der Roman verbindet biographische Eckpunkte mit glaubhafter Fiktion. Ein unterhaltsames und informatives Lesevergnügen.
Auch in der Ferienzeit, wenn andere Urlaub machen, hat unser Sandmännchen alle Hände voll zu tun. Aber es erlebt auch mit den Kindern in aller Welt spannende Abenteuer und steht mit Rat und Tat zur Seite. So hilft es Jule, ihren Kuschelhasen Mümmel wieder zu bekommen, nachdem dieser durch einen vertauschten Koffer verschwunden war. Finn und Anton eilt es als Dolmetscher zu Hilfe und mit Emily und Marie rettet es das kleine Kälbchen vor der Hallig aus dem Watt. Und an jedem Abend verteilt es dann wieder fleißig seinen Traumsand.
Dieses einfühlsame Vorlesebuch umfasst 20 Gute-Nacht-Geschichten aus dem Kinderalltag und lädt große und kleine Leser und Zuhörer ab 3 Jahren zum Träumen und Kuscheln ein. Die zahlreichen bunten Illustrationen runden das Vorlesevergnügen perfekt ab.
Thomas Ziebula
Der rote Judas
Rowohlt
12,00 € (Taschenbuch)
20,00 € (Hardcover)
18,99 € (E-Book)
19,99 € (Hörbuch)
Dieser Krimi beginnt 1920 in Leipzig. Paul Stainer kommt traumatisiert aus französischer Kriegsgefangenschaft. Zu seiner großen Überraschung kann er seinen alten Job als Kriminalinspektor wieder aufnehmen. Der einzige Lichtblick, denn seine Frau hat nicht mehr an seine Rückkehr geglaubt und lebt mit einem neuen Mann zusammen. Stainer selbst leidet an einer Amnesie und hofft, dass keiner seiner Kollegen und Vorgesetzten etwas davon mitbekommt. Dann aber kann er sich in die Arbeit stürzen. Eine Mordserie erschüttert die Stadt. Stainer und sein Kollege Junghans geraten auf die Spur der „Operation Judas“ . Und den Kommissar verbindet mehr damit als er ahnt.
Thomas Ziebulas Kommissar Stainer ist eine Figur voller Widersprüche, die Reise in das Leipzig der Zwanziger Jahre interessant und unterhaltsam, vor allem wenn man die Stadt etwas kennt.
Der Roman ist Auftakt zu einer Reihe und der zweite Band „Abels Auferstehung“ gerade erschienen.
Vor fünf Jahren gewann Sharon Dodua Otoo den Ingeborg-Bachman-Preis und nicht nur ihr experimentierfreudiges Erzählen kommt in ihrem Debütroman wieder zum Vorschein, sondern auch die Erzählinstanz des Frühstückseis, das in „Herr Gröttrup setzt sich hin“ nicht hart werden wollte und bereits dort von seinen bisherigen verschiedenen Daseinsformen berichtete, taucht in „Adas Raum“ wieder auf. Der Roman erzählt durch die Jahrhunderte in Schleifen von vier Adas: einer Mutter im westafrikanischen Totope des Jahres 1459, 1848 ist sie eine Mathematikerin in London, 1945 eine Prostituierte in einem Konzentrationslager und 2019 eine junge Schwangere auf Wohnungssuche in Berlin. Ein immer wiederkehrendes Armband sowie Gespräche zwischen einer göttlichen Instanz und der „Wesenheit“, die im Bachmann-Preis-Text bereits als Ei auftrat und hier in den einzelnen Episoden in verschiedene Gegenstände inkarniert, verbinden die räumlich und zeitlich getrennten Einzelteile, lassen jedoch auch Interpretationsspielraum für die Lesenden.
Wer ist Anton? Anton ist haarig, mutig, groß und stark. Dies ist auch kein Wunder, denn er ist ein Bison. Er lebt in einem Buch, in dem er der Held ist. Louis ist ein kleiner schüchterner Junge, dem dieses Buch gehört. Zuvor gehörte es seinem Vater und davor dessen Vater. Er liebte dieses Buch und nahm es überall mit hin: auf den Spielplatz, zum Zahnarzt, ins Schwimmbad. Doch eines Tages werden die beiden durch einen dummen Zufall getrennt, Anton landet in der Bibliothek und nach einem kleinen Sturz sitzt das Bison plötzlich neben seinem Buch. Was ist da bloß los und wird es Louis jemals wieder sehen?
Eine berührende Geschichte über echte Freundschaft, die Hoffnung, die man nie aufgeben sollte und die Liebe zu Büchern. Die Illustrationen runden die Erlebnisse wunderbar ab. Das Buch ist ideal für Erstleser ab 7 Jahren, aber auch zum Vorlesen für jüngere Zuhörer bestens geeignet.
Schon von klein auf ist Tove bewusst, dass sie anders ist als die Mädchen in ihrem Alter. Während diese im Hinterhof davon träumen, später den richtigen Mann zu finden, Kinder zu bekommen und Hausfrau zu werden, möchte sie später Schriftstellerin und eigenständig werden, sprich: unabhängig von einem Mann leben. Da dieser Wunsch für ein Mädchen im Arbeitermilieu Dänemarks der 1920er Jahre ziemlich abwegig ist, schreibt sie zunächst nur heimlich Gedichte in ihr Poesiealbum. Als Tove jedoch kurz vor ihrer Konfirmation einen Kontakt zum Kulturressort der Zeitung bekommt, wächst ihre Hoffnung, doch ein Gedicht veröffentlichen zu können.
„Kindheit“ ist nur der erste Band, der gerade auf Deutsch erschienenen Kopenhagen-Trilogie, in welcher die dänische Autorin Tove Ditlevsen aus ihrem Leben berichtet. „Jugend“ handelt von der Zeit nach der Schule bis zu den ersten schriftstellerischen Erfolgen, in „Abhängigkeit“ ist sie bereits eine angesehene Schriftstellerin, gerät jedoch in eine gefährliche Schmerzmittelsucht, die nicht nur ihr Schreiben, sondern sogar ihr Leben bedroht. Neben Tove Ditlevsens ungewöhnlichem Lebenslauf, der vor allem im dritten Band einen äußerst dramatischen Punkt erreicht, ist es vor allem auch ihr besonderes Verhältnis zur Sprache und Literatur, welches den Reiz dieser autobiographischen Erzähltexte ausmacht, die aktuell in 16 Sprachen übersetzt werden.
New Orleans nach dem Ersten Weltkrieg ist eine Stadt voller Widersprüche. Eine explosive Mischung aus Rassismus, Prostitution, Kriminalität und gesellschaftlichen Gegensätzen. Aber es ist auch der Ort für die Geburtsstunde des Jazz. In diesem Hexenkessel treibt ein Axtmörder sein Unwesen. Ermittler Bill Bastrop, traumatisiert aus dem Krieg zurückgekehrt, kämpft bei seinen Untersuchungen mit Vorurteilen, der Unterwelt und den eigenen Dämonen. Der junge schwarze Trompeter Izzy Zeno will Musiker sein, den Jazz bekannt machen und damit berühmt werden. Stattdessen schuftet er beim Bau eines Kanals um Frau und Tochter durchzubringen. Nicht zuletzt gibt es die Mafiapatin Beatrice Vizzini, die unwissentlich dem Mörder näher steht, als sie denkt. In diesem Roman verschmelzen die Geschichten der drei Hauptfiguren zu einem spannenden Krimi. Mit genau recherchierten Hintergründen schafft es Nathaniel Rich, dem Leser die aufgeladene Atmosphäre zu vermitteln. Es ist die Mischung aus Thriller und historischem Roman, die fesselt.
Von einem düsteren Damals berichten Ryfka und David. Aus dem Hiermals heraus, in das sie sich hinübergerettet haben. Das sie mit List, dem notwendigen Opportunismus und vor allem starkem Überlebensdrang erreicht haben. Das Damals, von dem sie abwechselnd aus ihrer je eigenen Perspektive berichten, ist der Einzug der deutschen Truppen in Warschau, ist die Große Aktion, sind die alltäglichen Überlebenskämpfe in den Trümmern der vergewaltigten Stadt. Das Hiermals, von dem aus sie sprechen, ist kein Zeitpunkt, es ist die Position, von der aus sie sprechen. Es ist die Position der Erzählinstanz, die jetzt, hier, da alles vergangen ist, über das Wissen um das Geschehene verfügt. Verbunden sind die beiden Protagonisten über einen dritten: Jakub Shapiro, Boxer und Unterweltgröße, der Twardoch-Lesern schon aus dessen letztem Roman bekannt ist, um dessen Leben die der beiden anderen kreisen.
Auch in diesem erzählerisch wie ästhetisch wieder herausragenden Roman von Szczepan Twardoch spielt nicht nur die Erzählung, sondern auch das Erzählen ein große Rolle. Gleichzeitig geht einem furchtbar nahe, was geschildert wird – so weit Literatur das zu leisten imstande ist, wird einem die Brutalität des Alltags in diesem schrecklichen Krieg, die Grausamkeit der Nationalsozialisten und ihrer Helfer sowie das notwendige Zurücktreten moralischer Kategorien vor Augen geführt.
Man schreibt das Jahr 1566. Rom ist in Aufruhr. Der neue Papst widmet sich nicht nur den Ketzern, sondern verfolgt auch die Verfehlungen seines eigenen Standes. Und so fürchten viele von den Bütteln des Pius, verhaftet, gefoltert und gerichtet zu werden.
Zu dieser Zeit trifft Michelangelo, ein junger Mann, der mit dem Verkauf von zweifelhaften Nachrichten sein Geld verdient, auf Mercuria.
Einst war sie eine begehrte Kurtisane. Ihre Beziehungen reichen immer noch bis in die höchsten Kreise der Gesellschaft, obwohl sie sich zur Ruhe gesetzt hat. Und sie ist reich, sehr reich. Auf ihrem Anwesen haben viele eine Bleibe gefunden. Dort begegnet Michelangelo Gennaro. Der Steinmetz und Raubgräber sucht nach antiken Statuen. Aber die beiden finden eine Leiche mit sechs Fingern an jeder Hand. Sie stolpern über lang begrabenen Geschichten voller Blut und Gewalt. Mercuria spielt eine wichtige Rolle darin.
Wie in seinem Roman „Pandolfo“ wendet sich Michael Römling auch in „Mercuria“ der italienischen Renaissance zu. Er versteht es, historische Ereignisse spannend und farbig zu erzählen. Ein Lesevergnügen!
Wir erinnern uns an die letzten Sommerferien Renés im Potsdam des Jahres 1985, die uns in „Skizze eines Sommers“ äußerst lebhaft in den Kopf projiziert worden sind – Sturmfrei, Feriengeld vom Vater, viel Zeit mit den Freunden im Café, Discobesuche, Gespräche über Literatur, Musik und Kunst sowie natürlich die Suche nach dem richtigen Mädchen und der großen Liebe. In „Straße der Jugend“ erzählt Kubiczek die Geschichte Renés nahtlos weiter. Die Ferien sind vorüber und der Umzug ins Hallenser Internat steht bevor. Wird die frische Beziehung mit Victoria diese räumliche Trennung überstehen? Und welche Bedeutung hat die seltsame Anziehungskraft, die seine „Seelenfreundin“ Rebecca noch immer auf ihn ausübt? Aber erst mal gilt es sich einzufinden in die neue Umgebung mit neuen Menschen um sich herum. Im Ich-Erzählerton schildert René rückblickend die Veränderungen und Überraschungen, die ihm im folgenden Jahr sowohl in Halle, als auch im heimischen Potsdam zugestoßen sind. Der unverkrampft-jugendliche Ton, mit dem Kubiczek René aus seinem Leben erzählen lässt, macht diesen Internatsroman zu einem großen Lesevergnügen. Hier werden sowohl Allgemeinplätze einer Coming-of-Age-Geschichte bedient, als auch spezielle Umstände des Heranwachsens in der DDR-Lebenswirklichkeit auf diversen Ebenen verhandelt.
Andrea Schütze
Die wilden Waldhelden
Ellermann
Vier Tierkinder, die nicht unterschiedlicher sein könnten, beschließen eine Bande zu gründen. Die vier Mitglieder sind der neugierige Fuchsjunge Mikkel, das sich ständig sorgende Hirschkälbchen Flora, der turbulente Frischling Rufus und das kleine Waschbärmädchen Flora mit dem Putzfimmel. Zusammen sind sie nun die vier wilden Waldhelden und das erste Abenteuer lässt nicht lange auf sich warten. Untypische Dinge geschehen im Honigwald, denn ein Waldkindergarten entsteht auf der Veilchenlichtung. Leider scheinen sich nicht alle Kindergartenkinder darüber zu freuen. Der kleine Diego sitzt allein und schluchzt vor lauter Heimweh. Klar, dass die 4 WWH Diego zur Seite stehen und ihm helfen wollen.
Was sie sich ausgedacht haben, finden große und kleine Leser ab 4 Jahren in diesem liebevoll illustrierten Vorlesebuch heraus. Andrea Schütze hat hier vier wunderbare Charaktere geschaffen, die alle grundverschieden sind, sich aber dennoch perfekt ergänzen und sich in die Herzen der Leser schleichen. Auf die, die nicht genug von den Tierkindern bekommen können, warten noch weitere Abendteuer der 4 WWH darauf gelesen zu werden.
Laurent Binet schreibt in seinem neuen Roman die Geschichte um. Der Kippmoment, an dem er die Stellschrauben verändert, ist die Eroberung Amerikas durch die Europäer nach dessen Erkundung durch Kolumbus. In „Eroberung“ reisen die Wikinger nicht nur bis nach Nordamerika, sondern ziehen die Küste weiter herab bis nach Südamerika. Dadurch sind die Indios 500 Jahre später, als Kolumbus anlandet, nicht nur immun gegen die Pockenviren der Europäer, sondern auch kampferprobt. Kolumbus wird die Karibik nicht mehr verlassen. Stattdessen segelt ein paar Jahrzehnte später der Inkaherrscher Atahualpa über den Atlantik, wird nicht nur König von Spanien, sondern auch Kaiser des Heiligen Römischen Reichs. Der Kult des Sonnengottes ersetzt das Christentum, in Wittenberg werden die „95 Sonnenthesen“ angeschlagen und Michelangelo wird mit der Anfertigung einer Statue des Sonnengottes Viracocha beauftragt. Nebenher treffen der Maler El Greco, der Schriftsteller Cervantes und der Philosoph Montaigne aufeinander.
„Eroberung“ ist ein gleichermaßen geistreicher wie witziger historischer Abenteuerroman, der die weitreichenden Auswirkungen auf zahlreiche historische Ereignisse und Persönlichkeiten durchspielt, wenn nur an zwei ursprünglichen kleinen Stellschrauben gedreht wird.
Wenn der Antiheld in Marius Goldhorns Debüt-Pop-Roman im wirklichen Leben, dem real life also, angesprochen wird, reagiert er auf den Namen Arnold. Mitte Zwanzig, (Wahl-)Berliner, Poet, verzettelt in viel zu viele kulturell distinktive Referenzen und die meiste Zeit verloren in einem Mehr von beliebig aufgerufenen Tabs. Zwischen iPhone und MacBook (Christian Krachts Barbourjacken?), GoogleMaps und Youtube verhandelt der Protagonist für oder vor uns, was Aufmerksamkeitsökonomie im 21.Jahrhundert bedeuten mag. Nämlich vor allem, dass für (zu) viele (von ‚uns‘) Distanz kollabierte und damit eine kritische Reflexion erschwert wird: Selbst Yoga, wie in einer Szene des Romans, eine Praktik also der Selbstsorge, Innerlichkeit und gerichteten, wie bewussten Aufmerksamkeit verkommt als Tab, im Youtube-Tutorial und wird darüber eingespeist in den Mahlstrom der Nivellierungen.
Arnold sollte also „öfters aus dem Haus kommen“ wie Salma, eine Freundin auf einer belanglosen Party es fasst, öfter den Schritt aus dem virtuellen ins analoge(-re) Leben versuchen und damit eine Unterscheidung vornehmen. Am Leben, im Hier und Jetzt, im „Park“ teilhaben, dem Bedeutung beimessen, sich interessieren, sich möglicherweise engagieren. Das alles aber hat Arnold verlernt – oder eben nie erlernt. „Ich kann meine Bedürfnisse viel besser online ausdrücken“, scheint hier die Schlüsselsentenz zu sein.
Ganz in der Tradition des Pop(-romans) ist auch das aber zu viel: in lakonischen Hauptsätzen und ins Minimalste verzerrten Dialogen trägt auch „Park“ das zu viel auf poetologischer Ebene aus. Ein zu viel, wenn doch soundso alles belanglos und unbedeutsam ist, wenn eh alles „egal“ ist oder nur mit einem „keine Ahnung“ quittiert werden kann. Zwei Aussagen, die (fast) jedes ‚Gespräch‘ beenden. Die Nicht-Handlung, Stränge, die sich ebenfalls im Minimalen verlaufen, spült Arnold über Paris – wo er drei Tage auf seinen Flieger wartet und mehr Zeit in den Wikipedia-Artikeln zu Paris oder den Sehenswürdigkeiten dort verbringt, als mit oder vor diesen – nach Athen, wo er Odile, als Chiffre einer Liebe, auf die es (doch) noch zu hoffen gilt, bei einem Filmdreh helfen soll. Auch hier vor allem zu viel, viel „egal“ und häufig „keine Ahnung“. Jedenfalls zu viel real life, dessen Anforderungen eben nicht mit dem Schließen eines Fensters oder dem Wechseln eines Bildschirmhintergrundes zu begegnen ist… und so verläuft auch diese Episode. Zumindest bis zu dem Punkt, an dem kurz vor Arnolds Abflug das Stromnetz zusammenbricht, der Akku des MacBook erschöpft ist, damit plötzlich alles stillliegt. Und wirklich wieder das sein kann, was nicht medial vermittelt ist.
Sicherlich etwas zu moralisierend, funktioniert Marius Goldhorns „Park“ aber dennoch: Als kurzweiliger Roman, der die Popliteratur ins 21. Jahrhundert ein-schreibt und uns als Leser*innen mit allerhand Titeln für die nächste Spotify-Playlist versorgt, in die wir im Zwischen von Push Nachrichten und Katzenvideos eintauchen können.
Das Museum Wendevogel in Frankfurt erhält die Möglichkeit zu einem spektakulären Neubau. Der Förderverein muss über die Nutzung entscheiden. Dem Vorschlag, das Gebäude einem Künstler zu widmen, nämlich KD Pratz, stehen nicht alle Mitglieder wohlwollend gegenüber. Er ist weltberühmt, seine Kunst wird hochgehandelt, aber Pratz selbst gilt als schwierig, hat sich der Vereinnahmung durch den Kunstbetrieb entzogen. Auf einer Burg über dem Rhein thront er, zurückgezogen von der Öffentlichkeit. Pratz will mit der verlogenen Welt nichts zu tun haben. Und so sprengt er Drohnen in die Luft, von denen er sich beobachtet fühlt oder verhindert Sendemasten in der Nähe. Seinen Nachruhm zu sichern liegt ihm allerdings doch am Herzen. Und so stimmt der Künstler einem Treffen mit dem Förderverein auf seiner „Feste“ zu. Der jährliche Ausflug führt in das Allerheiligste und die Kunstförderer treffen auf ihr Idol.
Kristof Magnusson erzählt mit großer Meisterschaft von dieser Begegnung, leuchtet die Untiefen des Kulturbetriebes aus. Und das auf äußerst unterhaltsame Weise, wahrhaftig und heiter.
Kennt ihr das kleine Nickerchen? Nein? Dabei kommt es immer dann zu euch, wenn ihr ganz müde sein. Egal ob das nun zum Mittagsschlaf ist oder irgendwann dazwischen. Die meiste Arbeit hat es allerdings abends. Dann verlässt es seine gemütliche kuschelige Traumwolke, hat sein Säckchen voll Sternenstaub dabei und bringt die Tierkinder in einen ruhigen Schlaf. Aber manchmal geht es nochmal turbulent her, so zum Beispiel, wenn sich die Igelkinder Pips und Pünktchen mal wieder streiten oder der kleine Fuchs noch seine Eltern sucht und der Hase sein Schnuffeltuch auf dem Baum vergessen hat. Dem kleinen Nickerchen ist keine Anstrengung zu schwer, um die tierischen Kinder sanft in die Traumwelt zu begleiten.
Die liebevollen Illustrationen runden die schöne Geschichte perfekt ab. Dieses Buch hat genau die richtige Mischung aus Abenteuer und Ruhe, so dass kleine Zuhörer ab zwei Jahre schnell und friedlich ins Traumreich entschlummern werden.
Kat Menschik & Mark Benecke
Kat Menschiks und des Diplom-Biologen Doctor Rerum Medicinalium Mark Beneckes Illustrirtes Thierleben
Galiani Berlin
Wem Mark Benecke ein Begriff ist, weiß auch um dessen enge Beziehung zu allen möglichen Insekten. Denn als weltbekannter Kriminologe sind genau diese seine besten Mitarbeiter. Seiner Tierliebe, die im Übrigen nicht nur Insekten gilt, räumt er auch in seinem Wissenschafts-Podcast regelmäßig Platz ein, um auf die einzigartigen tierischen Wesen und deren beeindruckende und amüsante Eigenschaften aufmerksam zu machen. Dies tut er auch in diesem Buch und überrascht mit schrägem Wissen und Kuriositäten wie zum Beispiel den Glühwürmchen, mit deren Hilfe einst der Kriegspfad ausgeleuchtet wurde oder dem Pfeilstorch, der mit pfeildurchbohrtem Körper von Afrika nach Europa flog.
Die Illustratorin Kat Menschik hört gern Radio, stieß so auf Beneckes Tierbetrachtungen und der Wunsch nach einem gemeinsamen Buch wuchs. So entstand dieses wunderschöne, brillante Tierbuch mit allerlei Überraschungen in einer hochwertigen Ausstattung mit farbigem Prägedruck auf dem Einband, schwarzem Schnitt und wunderbaren Illustrationen.
Die Erzählerin in Olivia Wenzels Roman „1000 Serpentinen Angst“ steht an einem Bahnsteig, wartet auf den Zug und schaut auf ihr Leben zurück. In assoziativen Sprüngen erliest man ihr bisheriges Leben. Das Hineingeborenwerden als dunkelhäutige Deutsche in die DDR – die Mutter eine gegen die elterliche Linientreue aufmüpfige Punkerin und der Vater abwesend in Angola. Das Aufwachsen gespickt mit rassistischen Diskriminierungen, Gefühlen des Andersseins und der Suche nach Identität. Der Schmerz über den Verlust des Bruders, der mit 19 Jahren vor einen Zug springt. In größtenteils dialogischer Form mit einer unbekannten Fragestimme, die insistiert und lenkt, springt der Text zwischen Zeiten und Orten – Episoden aus der Kindheit und Jugend in Thüringen, dem Leben in Berlin sowie Ausflügen nach New York, Hanoi und Marokko. Dabei reflektiert die Erzählerin nicht nur die Hautfarbe und ostdeutsche Herkunft, sondern verhandelt auch Themen wie Weiblichkeit, sexuelle Orientierung und die Schwierigkeit der Verortung in einem Lebensentwurf per se. Ein sehr gegenwärtiges Buch mit frischer Form und Sprache, das in diesem Jahr zu Recht für den Deutschen Buchpreis nominiert war.
Cloris Waldrip ist zweiundsiebzig Jahre alt, als sie und ihr Mann endlich einmal ein paar Tage Urlaub machen wollen. Sie möchten Berge sehen. Bisher hatten sie dazu keine Gelegenheit, denn die Farm in Texas ließ keine freien Tage zu. Aber das kleine Flugzeug stürzt ab und nur Cloris überlebt. Für sie beginnt ein Kampf gegen die Wildnis und auch gegen sich selbst.
Rangerin Debra Lewis kennt sich in den Bitterroot Mountains aus und begibt sich auf die Suche nach Cloris. Sie ist im Gegensatz zu ihren Kollegen fest davon überzeugt, dass die alte Dame lebt. Und tatsächlich scheint diese einen Schutzengel zu haben. Wer ist der unsichtbare Helfer und warum will er im Verborgenen bleiben?
Der Debütroman von Rye Curtis ist spannend bis zur letzten Seite. Er zeigt Einblicke in das Seelenleben zweier sehr verschiedener Frauen. Ein Abenteuerroman und philosophische Weltbetrachtung.
Anne Weber
Annette, ein Heldinnenepos
Matthes & Seitz
Als hätte sich das Epos weitergeträumt und hätte sich 2020 ausgespu(c)kt. Spucken, also ohne eingeklammertes ‚c‘, im Französischen crasher – um über diese Geste bereits ein Merkmal von Anne Webers Schreibverfahren vorzuführen: französische Einsprengsel, homofones Durchlesen von Worten, Sprünge, die an spielerischen Spracherwerb anhand von false friends erinnern. Zurück aber zum crasher. Zum Crash, der in dieser Schreibweise das semantische Feld es Un-falls aufruft, also Zusammenprall, Kollision, Stoß und Malheur. Und darüber zum Epos im 21. Jahrhundert als totgesagte und totgeglaubte Form, in die (Nach-)Moderne, in der Helden [sic!] ausgedient haben, einer Zeit – um es mit dem ungarischen Philosophen Georg Lukács zu sagen – des aufgesprengten Kreises (in dem die Griechen /noch/ metaphysisch leben), des Risses und der Totalität, die das Epos als Lebens- und Erzählform möglich machte. Was also mit Anne Webers „Annette, ein Heldinnenepos“ vor uns liegt, ist Kollision. Und zwar eine solche, die bereits im Titel aufgerufen wird: „Annette, ein Heldinnenepos“, dient weniger zur Gattungsbestimmung des Textes als vielmehr eines Aufrufens bei gleichzeitigem Entzug: Denn das, was Epos ist, ist nicht der Text, nicht das, was da gesponnen werden wird, sondern Annette selbst. Sie, die Protagonistin wird als (Heldinnen-Epos) vorgestellt und führt damit den ersten Bruch als Folge der unweigerlichen Kollision ein wie vor.
Die Fortschrift und -setzung (was den Satz, die Anordnung der Zeichen auf der Seite mit anspricht) des Bruchs und des Brechens wird auf den folgenden Seiten manifest: In eigenwillig rhythmischer Prosa, in zerbrochenen Versen und Zeilensprüngen und Stimmen, die sich gegenseitig unterbrechen, erzählt Anne Weber die Geschichte von Annette (Beaumanoir) und damit, durch ein leicht splittriges, distanzschaffendes Weitwinkelobjektiv, eine Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nämlich eine solche der Hoffnung, der ‚Menschlichkeit‘ oder Brüder-/Schwesterlichkeit und Gerechtigkeit: Einer jungen Frau, die noch minderjährig in der Résistance kämpft, von der Kommunistischen Partei strafversetzt für die Gaullisten arbeitet, ihr Studium der Medizin in kurzen Pausen (die niemals wirklich solche sind) beendet, im Algerienkrieg aktiv wird und dort am ‚Wiederaufbau‘ partizipiert, 1965 nach Genf flüchten muss, um schlussendlich fast 100-jährig im südfranzösischen Ort namens Dieulefit zu leben, wo sie Anne Weber empfängt, die aus dieser Lebensgeschichte den vorliegenden Roman spinnt. Ohne plumpe Verherrlichung, ohne Moralismen oder großes Pathos – dafür mit viel Ironie und (Sprach-)Witz, gänzlich un-episch im besten Sinne dieser Wendung.
In „Omama“ schildert die Erzählerin – wie es der Titel schon vermuten lässt – die Geschichte ihrer Oma Helga. Sie erzählt von deren Aufwachsen in der österreichischen Provinz zur Nachkriegszeit, dem Wetteifern mit der zugleich hübscheren wie einfältigeren Schwester um die Gunst der russischen Besatzer; dem Verhökertwerden durch die Eltern an Familien, die gerade irgendeine Form von Hilfe benötigen; wie sie schließlich in der Küche der Dorfschänke landet und den Sohn der Wirtin, der zugleich der Dorfschönling ist, heiraten wird und vieles mehr. Dass das Sujet der Aufarbeitung familiärer Biografien schon ausgiebig literarisch verarbeitet wurde, wird direkt im Prolog angesprochen. Dass es sich dennoch lohnt, diesen Debütroman zu lesen, liegt an der Art und Weise, wie diese Geschichte erzählt wird.
Man kennt Lisa Eckhart als bissige, scharfsinnige und wortgewandte Kabarettistin. Sowohl ihr analysierender Blick auf die Gesellschaft, als auch ihre sarkastische Darstellung von Personen, Beziehungen und sozialen Strukturen findet man im Roman wieder. Scharfzüngig, pointenreich und mit einer ordentlichen Portion Ego wird hier erzählt – wie man es auch von Eckharts Bühnentexten kennt. Ungewohnt im Gegensatz zu diesen sind jedoch etwas Liebevolles und eine gewisse Herzlichkeit, welche in „Omama“ zwischen den Zeilen immer wieder hindurchscheint.
Langweilige Ferien stehen Jonas bevor! Seine Eltern fliegen nicht mit ihm in die Ferne. Sie haben beschlossen, dass es ein abgelegener Bauernhof im Schwarzwald sein muss. Immerhin soll es dort Zwillinge in Jonas‘ Alter geben. Hoffentlich nicht irgendwelche Hinterwäldler!?
Aber wie heißt es: „Es kommt immer anders als man denkt.“ Zwar ist ein Zwilling ein Mädchen und die Drei müssen sich erst zusammenraufen, aber was sie dann erleben, sprengt ihre Vorstellungskraft: Jonas entdeckt ein seltsames Wesen auf dem Hof und verfolgt es bis zu einem unterirdischen Eingang. Anna, Benjamin und Jonas gelangen in die Welt von Gnorl. Vor hunderten Jahren haben sich die Kobolde unter die Erde zurück gezogen und ihr eigenes Reich errichtet. Das ist in Gefahr. König Kromak unterdrückt seine Untertanen und hat dunkle Pläne.
Und so beginnt ein spannendes Abenteuer für die Kinder, bei dem vielerlei Gefahren lauern und bei dem die Gruppe zusammenhalten muss.
Lautes Schimpfen ist im Glimmerwald zu hören. Es stammt von Karla, weil sie einen kleinen Moment ihren Korb abgestellt hat und dieser prompt von einem Kerzenkobold geschnappt wurde. Das war es nun mit den gesammelten Beeren und sie musste sich auch noch auslachen lassen. Der Kobold verschwand so schnell wie er kam, aber ließ den Korb weit oben im Baum hängen. Karla bekam jedoch unverhofft Hilfe. Ein Junge namens Frederik, der sich im Gebüsch versteckt hatte, bot ihr die Räuberleiter an. Dieser Beginn einer Freundschaft soll das Leben von ganz Lichterland verändern. Denn beide kennen die Geschichten über die Glückslichter, die einst am Himmel zu sehen waren, aber schon lange verschwunden sind. Die beiden Freunde wollen dies nun ändern und machen sich auf die Suche nach dem verschwundenen Amulett, welches der Schlüssel zu den Lichtern ist. Ihre Suche führt sie tief in den geheimnisvollen Glimmerwald. Hier glitzern und leuchten Schimmerpilze, Leuchtschnecken und Knisterblumen, aber auch Erdmurpel und gefräßige Schattenbeißer sind hier zu Hause. Doch Karla und Frederike halten an ihrem Plan fest…
Eine wunderschöne Abenteuergeschichte in einer magisch scheinenden Welt, in der man gern selber leuchtende Schnecken sammeln möchte. Zahlreiche liebevoll illustrierte Bilder unterstreichen den Zauber von Lichterland. Ein Vorlesevergnügen für die ganze Familie ab 5 Jahren.
Ein Tag am Meer kann schön sein, erholsam, warm, aufregend und vieles mehr. Aber einen ganzen Tag, 24 Stunden, am selben Ort, am Strand beschreiben? Das muss doch langweilig sein!
Jürgen Hosemann verbringt den 31. August in Grado, einem kleinen Küstenort am Golf von Triest. Mitten in der Nacht geht er an den Strand, beobachtet, was um ihn herum passiert. Er erzählt vom Vergehen des Mondes, dem Sonnenaufgang, den ersten Menschen und Booten, den Veränderungen des Meeres und des Himmels. In der Hitze des Tages kommen Erinnerungen. Hosemann reflektiert und spekuliert. Und es ist keineswegs langweilig zu lesen, wie dieser 31. August verlaufen ist. Der Leser fühlt sich an den Ort versetzt. Er genießt das Meer. Bilder entstehen im Kopf.
Jürgen Hosemann, Herausgeber vieler Anthologien und der Werke Wolfgang Hilbigs, ist sein erstes Buch wirklich gelungen.
David Grossmann
Was Nina wusste
Hanser Verlag
Drei Frauen, drei Generationen und ein Schicksal, das sie alle geprägt hat. Gili ist Filmemacherin und eröffnet der Großmutter Vera zu ihrem neunzigsten Geburtstag, dass sie einen Film über deren Lebensgeschichte drehen möchte. Dafür will sie gemeinsam mit ihr und der Mutter Nina eine Reise nach Kroatien auf die frühere Gefängnisinsel Goli Otok unternehmen. Die Reise in die Familiengeschichte ist zugleich eine in die Historie Jugoslawiens. Trotz Kampf an Titos Seite im Zweiten Weltkrieg wird Veras Ehemann nach dem Bruch Jugoslawiens mit Stalin Verrat vorgeworfen und er wird inhaftiert. Vera wird verhört und vor die Wahl gestellt, ihren Ehemann bloßzustellen oder nach Goli Otok gebracht zu werden. Da sie ihren Mann nicht fälschlicherweise des Verrats bezichtigen kann, muss sie auf die Gefängnisinsel und ihre kleine Tochter Nina im Stich lassen. Diese Entscheidung hinterlässt tiefe Spuren in Ninas Psyche, welche nicht nur ihr weiteres Leben, sondern auch das von Gili beeinflussen wird.
Mit psychologischem Feingefühl erzählt David Grossman von den Schicksalsschlägen des Lebens, von schwierigen Entscheidungen und deren langwierigen Auswirkungen, sowie nicht zuletzt von großen Gefühlen wie Schuld und Liebe.
Es beginnt damit, dass die Töchter plötzlich bei ihrem Vater unterkommen, den sie seit vielen Jahren nicht gesehen, ja noch nicht einmal richtig kennengelernt haben. Edie, das mit ihren 16 Jahren ältere der beiden Mädchen, empfindet keinerlei Zuneigung zu ihrem plötzlich wieder existierenden Vater. Mae hingegen fühlt sich schnell zu ihm hingezogen, hat das Gefühl, dass eine klaffende Lücke ausgefüllt wird.
Nach und nach erfahren wir immer mehr darüber, wie es dazu kam, dass die Töchter von der offensichtlich psychisch instabilen Mutter zu ihrem berühmten Schriftsteller-Vater gewechselt sind. Und darüber, welche Vorgeschichte Mutter und Vater miteinander haben. Sowohl die Abwehrhaltung Edies als auch die von Anfang an große Zuneigung Maes verstärken sich im Verlaufe der Zeit – und das auf jeweils folgenschwere Weise.
Apekina erzählt multiperspektivisch und auf unterschiedlichen Zeitebenen über die dramatischen Entwicklungen, die sich mitten durch die Personen ziehen, die so etwas wie eine Familie bilden. Viele unterschiedliche Stimmen, keine ordnende Erzählinstanz, noch nicht einmal die Sicherheit einer einheitlichen zeitlichen Perspektive – möglicherweise der einzige Weg, wie sich eine solche Geschichte erzählen lässt. Auch, dass der Vater als einzige der handelnden Personen keine Stimme bekommt, gehört wohl zu den Bedingungen der Möglichkeit dieses Textes.
Sharon Cameron
Das Mädchen das ein Stück Welt rettete
Insel Verlag
Stefania ist 16 Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg ausbricht. Die Diamants, bei denen sie zuvor Arbeit fand, sind ihr ans Herz gewachsen, besonders Izio. Die beiden sind frisch verliebt und haben sich einander versprochen. Doch ihre polnische Heimatstadt wird besetzt und die jüdische Familie muss ins Ghetto ziehen. Fusia ist nun auf sich gestellt, kümmert sich um Helena, ihre kleine Schwester, denn auch ihre Mutter wurde deportiert und half Izios Familie, wo sie nur konnte. Sie schmuggelte Essen und Medikamente ins Ghetto, immer mit der Angst im Nacken, erwischt zu werden. Denn wer einem Juden hilft, zahlt dies mit seinem Leben. Stefanias Welt bricht zusammen, als Izio und seine Eltern ermordet werden. Doch ihr bleibt keine Zeit sich aufzugeben, denn Max, Izios Bruder, gelang als einzigem die Flucht und Fusia muss schnell eine Entscheidung treffen. Sie nimmt Max bei sich auf und versteckt ihn und zwölf weitere Juden auf ihrem winzigen Dachboden.
Dieser Roman erzählt die wahre Geschichte eines Mädchens, das alles in Kauf genommen hat, um 13 Menschen eine Chance zu geben, am Leben zu bleiben. Er berichtet vom alltäglichen Leben im Versteck, wie sie 12-Stunden-Schichten arbeitet, zusätzlich auf dem Markt handelt, um genügend Essen zu besorgen und dieses unbemerkt nach Hause befördert und etlichen weiteren Strapazen. Und dies alles begleitet vom dem Gefühl der Angst: was, wenn sie erwischt wird, wenn sie jemand verrät, wenn sie heimkommt und dort plötzlich keiner mehr ist. Man kann dieses beklemmende Gefühl die ganze Zeit spüren und fragt sich, wie hält man so etwas bloß aus? Für Leser, die Geschichte nicht in Vergessenheit geraten lassen möchten ab 12 Jahren.
Der Erzähler in Thilo Krauses Debütroman kehrt nach Jahren mit Frau und jungem Nachwuchs in die Gegend seiner Kindheit zurück. Idyllisch erscheinen die Felsformationen und Wälder der Sächsischen Schweiz, doch Disharmonien und Brüche zeigen sich nicht nur in der Gegenwart seiner einstigen Heimat, in die er und seine Familie lediglich als „Zugezogene“ zurückkehren, sondern auch in ihm selbst. Eine alte Schuld lastet auf ihm – das Gefühl der Schuld am Kletterunfall in der Kindheit, bei dem sein bester Freund ein Bein verlor.
„Elbwärts“ erzählt von der Rückkehr in die alte Heimat und dem Erkennen der neuen Fremde darin. Poetischen Naturerlebnissen stehen Hakenkreuzschmierereien an den Felsformationen gegenüber; die innere Unausgeglichenheit des Erzählers gefährdet die junge Familie; Freundschaft, Zugehörigkeit und Fremdheit gehen ein Wechselspiel ein. Und schließlich kommt die Flut und wirbelt alles nochmal neu durcheinander.
Gisela will endlich auf eigenen Füßen stehen und weg aus Dresden. Zwei Jahre hat sie trainiert, um ihr Sächsisch loszuwerden. Aber ihr weniges Geld und das schlechte Abi machen einen Neuanfang in Städten wie Hamburg oder Berlin unmöglich. Da kommt ein Studienplatz ohne Gebühren und die Aussicht auf BAföG gerade Recht. Und so geht Gisela nach Chemnitz, die Stadt mit dem Ruf, eine Hochburg der Rechten zu sein. Eine Stadt, die nicht schön ist, keine verführerische Großstadt.
Und gerade hier gelingt der jungen Studentin der Neuanfang. Sie findet Freundinnen, die sich nicht mit allem abfinden, die auf Demonstrationen gehen, die versuchen irgendwie über die Runden zu kommen. Zusammen gründen sie die Band „Superbusen“. Sie erfahren Freundschaft, merken, was trennt und verbindet.
Paula Irmschler hat in Chemnitz studiert und danach in verschiedenen Zeitschriften Texte veröffentlicht. „Superbusen“ ist ihr erster Roman.
Margarete Stokowski schreibt: „Paula Irmschler lesen ist wie Saufen mit der besten Freundin, aber ohne Kater. Magisch.“
Meine komische Tante ist wieder zu Besuch. Warum sie komisch ist? Ein Beispiel: Sie trägt immer einen Hut, auch in der Wohnung. Diesmal hat sie meinem kleinen Bruder eine Puppe aus Stoffresten mitgebracht. Und Nico findet sie auch noch ganz toll. Mama und Papa winken ab und meinen, das vertut sich, aber als Nico die Puppe am nächsten Tag mit in die Schule nehmen will, widerspricht der Papa deutlich und plant am Nachmittag einen Spielzeugeinkauf, bei dem Nico sich ein echtes Jungenspielzeug aussuchen soll. Ob ihm die Ablenkungstaktik wohl gelingt?
Ein humorvolles Buch, welches die typischen Rollen der Geschlechter aufs Korn nimmt, mit Doppelmoral um die Ecke kommt und zeigt, dass Kinder manchmal die besseren Erwachsenen sind. Für Kindergartenkinder und Vorschüler.
Timo Parvela – Ella in der Schule. Abenteuer Schulanfang
Hanser
10,00 €
Am liebsten ist Ella in der Schule, weil es da jede Menge Spaß gibt. Aber irgendwie verhält sich ihr Klassenlehrer plötzlich komisch. Ella und Ihre Freunde glauben, dass eine Erpressung dahinter stecken muss oder was sollten diese seltsamen Briefe und die Nervosität des Lehrers sonst bedeuten? Nicht einmal in der Schwimmhalle ist ihr Lehrer entspannt. Dabei haben sie doch gar nichts falsch gemacht. Sie sollten beim Pfiff der Trillerpfeife ins Wasser springen. Und als Pekka fragte, wie die Pfeife sich den anhört und er dies vorführte, ist doch klar, dass die Schüler artig ins Wasser sprangen. Nachdem den Lehrer auch ein Schwimmbadbesuch nicht beruhigen kann, überlegen sich Ella und Ihre Mitschüler einen Plan, wie sie den Lehrer-Erpresser stellen können.
Die bekannte Ella-Reihe gibt es nun auch passend zum Schulanfang als Erstlesereihe. Mit größerer Schrift und witzigen farbigen Illustrationen können jetzt Ella- und auch Pekka-Fans deren Abenteuer selber lesen lernen. Ab 6 Jahren.
Martina Wildner – Dieser verfluchte Baum
Beltz & Gelberg
13,95 €
Sommerurlaub in Deutschland? Wie wäre es denn mal mit dem Allgäu? Aber Vorsicht, da gibt es verfluchte Bäume. Wie, du glaubst das nicht? So dachte auch Hendrik, dessen Eltern im Allgäu ein Ferienhaus besitzen und dort regelmäßig mit ihm die Ferien verbringen. Das Geschwätz der Dorfbewohner über den „Todesbaum“, weil in dessen Nähe mehrere Menschen auf unerklärliche Weise ums Leben kamen, hält er für Hokuspokus. Doch allmählich zweifelt Hendrik. Wo kommt plötzlich sein ganzes Wissen über Bäume her, warum fühlt er sich teilweise gelähmt, fast wie verholzt, wieso passieren ihm plötzlich lauter seltsame Unfälle. Existiert der Fluch doch? Und hat er sich jetzt auf Hendrik gelegt? Zum Glück steht er nicht alleine da und gemeinsam mit seinen Freunden Ida und Eddi gehen sie der Sache auf den Grund. Was steckt für ein Geheimnis hinter dieser alten Fichte? Martina Wildner vermischt hier eine typische Freundschaftsgeschichte mit vielen phantastischen Momenten des Schauerromans. Ein mitreißendes Abenteuer mit Gänsehautfaktor für sich gern schauernde Leser, die auch Freude daran haben, die eigene Phantasie ein wenig spielen zu lassen. Ab 11 Jahren.
Julius Fischer – Ich hasse Menschen
Voland & Quist
16,00 €
Sind wir mal ehrlich – Menschen können schon nervig sein. Und wo stellt man das am häufigsten fest? Genau, an Orten, an denen man mit ihnen in einem begrenzten Raum gewisse Zeit verbringen muss – auf einer Bahnfahrt zum Beispiel. Und auf einer ebensolchen setzt Julius Fischers Geschichte ein. Der Erzähler muss zu einem Meeting mit einer Literaturagentur nach Köln, begibt sich auf eine Zugfahrt, trifft auf den Möhrenmann, sein jüngeres Ich , lautstarke Mitreisende und stellt fest, dass alle Menschen – egal ob Kleinkind, Erwachsener oder Rentner – nervig sind. Die einzelnen witzigen, selbstironischen und geistreichen Abschweifungen bettet der vielseitige Leipziger Julius Fischer (Live- und Buchautor, Moderator, Musiker, Podcaster…) in die Rahmenhandlung, die im Zusammentreffen mit dem ominösen Literaturagenten kulminiert.
Doch warum empfehlen wir hier ein zwei Jahre altes Buch? Zum einen um darauf hinzuweisen, dass Julius Fischer ein neues Buch geschrieben hat, dass demnächst erscheint. Der Titel lässt an eine Fortschreibung denken: „Ich hasse Menschen – Eine Stadtflucht“. Zum anderen um freudig zu verkünden, dass wir fortan Depotbuchhandlung des sympathischen Voland & Quist Verlages sind. Dies bedeutet, dass von nun an die Neuerscheinungen sowie ausgewählte Backlisttitel des in den letzten beiden Jahren mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichneten unabhängigen Verlages bei uns in der Buchhandlung zu finden sind. Ob lustig, ernsthaft, lyrisch oder grafisch – das Programm ist vielseitig. Besuchen Sie uns und lernen es kennen.
Stefano Zangrando – Kleiner Bruder
Eulenspiegel Verlag
20,00 €
Die Familie Brasch ist eine der interessantesten Künstlerfamilien der DDR. Angefangen beim berühmtesten und ältesten der vier Geschwister, Thomas, über Klaus, den begabten Schauspieler, über Peter bis hin zur schreibenden Marion, die als einziges der Geschwister nicht früh verstorben ist.
Stefano Zangrando hat sich auf die Spuren von Peter Brasch begeben. Er war Dramaturg, Regisseur und Schriftsteller und stand oft im Schatten seiner Brüder. Auf Peter Brasch stößt Zangrando eher zufällig. Seine Wirtin in Berlin kannte Peter. Über dessen große Liebe, eine bekannte Schauspielerin, die bis heute ihre beste Freundin ist. Der Italiener bekommt Geschichten erzählt, liest Texte und will mehr über den Menschen erfahren. Diese erfundene Biografie ist eine Hommage an den Künstler und Menschen Peter Brasch, der es nicht verdient hat, in Vergessenheit zu geraten. Das Buch vervollständigt das Bild der ganzen Künstlerfamilie, deren Teil Peter Brasch war.
Jessie Greengrass – Was wir voneinander wissen
Kiepenheuer & Witsch
20,00 €, E-Book 16,99 €
Ausgehend von ihrer zweiten Schwangerschaft erinnert sich die Ich-Erzählerin zurück an die zweifelnde Zeit vor der Geburt ihres ersten Kindes und vor allem an die schwerwiegende Frage: Möchte ich überhaupt ein Kind? Hieraus entfaltet sich ein Gedankenstrudel, der grundlegende existenzielle und existenzialistische Fragen aufwirft. Die Erzählerin blickt nicht nur zurück auf ihre eigene Kindheit und ihr Verhältnis zur Mutter und Großmutter, sondern auch auf historische Personen, die ihr Leben dem Erforschen des Menschen widmeten: sei es das Durchleuchten des menschlichen Körpers bei Wilhelm Conrad Röntgen oder das Beleuchten der Psyche bei Sigmund Freud.
Jessie Greengrass springt zwischen den Zeiten und erzählt in einer poetischen Sprache von der Suche nach Erkenntnis vom Wesen und Sein des Menschen. Dass dies keineswegs trocken daherkommt, liegt nicht zuletzt an den detaillierten persönlichen Schilderungen der auftretenden Personen. Die Einbettung philosophischer Fragen in die lebhafte Erzählung macht diesen Roman zu einem überaus gelungenen Debüt.
Debrett’s. Die feine englische Art
Klett-Cotta
20,00 €, E-Book 15,99 €
Sie suchen ein Geschenk und tappen im Dunkeln? Ein Buch geht immer, aber liest der zu Beschenkende viel oder kaum und etwas? Es muss unverfänglich sein. Da kommt dieser Klassiker gerade recht. So geistreich wird man selten zu Umgangsformen informiert und unterhalten. Bereits im 18. Jahrhundert erschien die erste Ausgabe von John Debretts Adelshandbuch „The New Peerage“ und seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist der Debrett’s die Institution für Stil und Etikette.
Mit britischem Humor werden Sie aufgeklärt, was für eine unangenehme Eigenschaft Arroganz ist, wie Sie mit Nachbarn umgehen müssen und wie das Bekunden von Zuneigung in der Öffentlichkeit vonstattengehen sollte. In dieses äußerst amüsante Buch kann man immer mal wieder reinlesen oder es in einem Zug genießen. Man muss es also auch nicht unbedingt verschenken.
Kenneth Oppel – Bloom
Beltz & Gelberg
16,95 €, E-Book 15,99 €
Anaya plagen etliche fiese Allergien und sie kommt ohne Medikamente nicht aus. Ihre ehemals beste Freundin Petra ist ein hübsches Mädchen, hat aber ebenfalls eine Allergie und zwar gegen Wasser. Dann zieht Seth auf die kleine kanadische Insel. Bei sommerlichen Temperaturen sieht man ihn immer nur in langärmliger Kleidung. Was hat er zu verbergen?
Nachdem es einige Tage am Stück wie aus Kübeln schüttet, beginnt sich die Stadt allmählich zu verändern. Da wächst plötzlich schwarzes Gras, auch an Stellen, an denen vorher gar nichts wuchs. Es wächst rasant, verbreitet sich immer weiter und ruft heftige Reaktionen bei den Menschen hervor. Berührt man das Gras, verätzt es einem die Haut, atmet man die Pollen ein, droht man zu ersticken. Es lässt sich nicht aufhalten und die Nahrungsmittelversorgung ist bedroht. Und in all diesem Chaos, stellen Anaya, Petra und Seth fest, dass all ihre Beschwerden plötzlich verschwinden und mehr noch, sie spüren ungeahnte Kräfte in sich. Sollen sie die Auserwählten sein, die das Gras bekämpfen können?
Gerade die jetzige Situation lässt das geschilderte Szenario sehr realistisch erscheinen. Deshalb ist Bloom hochaktuell und Oppel beschreibt hier eine ganz andere Art der Apokalypse. Er schafft mit Bloom eine beunruhigend Stimmung, ein emotionales Auf und Ab, Bloom ist bildgewaltig, beängstigend und actiongeladen und somit ein rasantes mitreißenden Abenteuer für Leser ab 12 Jahren.
Angie Kim – Miracle Creek
hanserblau
22,00 €, E-Book 16,99 €
In der Kleinstadt Miracle Creek explodiert der Sauerstofftank einer Therapiekammer und zwei Menschen sterben. Zum einen die fünffache Mutter Kitt, zum anderen der achtjährige autistische Junge Henry. Schnell wird wegen Brandstiftung und Mord ermittelt und bald landet Henrys Mutter auf der Anklagebank. Doch warum soll sie ihren Sohn ermordet haben? Im Laufe des Prozesses offenbaren sich die Vorgeschichten aller Personen, die in irgendeiner Verbindung zum Vorfall und zur Sauerstofftherapie stehen und schnell wird deutlich, dass ein jeder seine Geheimnisse hat.
In einer multiperspektivischen Erzählform wird in dem Debütroman von Angie Kim nicht nur nach dem Täter gesucht, sondern es werden auch Themen wie Migration, Rassismus, Mutterschaft und Behinderung verhandelt. „Miracle Creek“ verbindet dabei gekonnt Elemente des klassischen „Whodunit“ mit vielseitigen Figurenzeichnungen und erhält die Spannung bis zur Aufklärung auf den letzten Seiten aufrecht.
Michael Kumpfmüller – Ach, Virginia
Kiepenheuer & Witsch
22,00 €, E-Book 18,99 €
Virginia Woolf, gefeierte Schriftstellerin und gefürchtete Kritikerin, hatte zeitlebens mit Depressionen und Psychosen zu kämpfen. Auch in ihrem letzten Lebensjahr, sie starb im März 1941, plagen sie Selbstzweifel und eine tiefe Niedergeschlagenheit. Der Überfall der Deutschen auf Großbritannien bringt Virginia Woolfs Leben aus dem Gleichgewicht. Sie kann nicht mehr schreiben und der Gedanke an Selbstmord ist immer präsent.
Michael Kumpfmüller erzählt in seinem Roman von den letzten Lebensmonaten Virginia Woolfs. Dabei kommt er der vielschichtigen Persönlichkeit sehr nahe, tief dringt er in ihre Gefühlswelt ein. Ein Buch, das dem Leser die Person und die Autorin nahe bringt. Man möchte Virginia Woolf für sich entdecken.
Katja Reider – Ich packe in meinen Beutel… ein Boot ein Buch ein Butterbrot
Carlsen
10,00 €
Ich packe meinen Koffer und nehme mit… wer kennt dieses Spiel nicht? Nun gibt es dieses auch als Mitpackbuch für die ganz Kleinen. Nur wird hier kein Koffer gepackt, sondern der Beutel eines Kängurus. Das Känguru möchte nämlich baden gehen und packt in seinen Beutel rein, was man so braucht bei Sonnenschein. In lustigen Reimen packen das Känguru und seine Freunde nun alles Nötige ein und schauen immer wieder nach, ob sie auch nichts vergessen haben. Lausche den Reimen und schau genau hin, schon kannst du aufzählen, was alles im Beutel ist drin. Für alle großen und kleinen Kofferpackfans ab 2 Jahren.
Nastja Holftreter – Wir spielen Einkaufen: Buchhandlung
Carlsen
9,00 €
Das Elefantenkind darf heute mit zum Einkaufen gehen. Bevor es in die Buchhandlung geht, bekommt es noch eine gemalte Einkaufsliste. Schau sie dir genau an, denn auch du kannst jetzt all die tollen Dinge von der Liste suchen und einkaufen. Murmeln oder Kreisel? Badebuch, Malbuch oder Kochbuch? Was solltest du doch gleich alles einkaufen? Schere, Lesezeichen oder Postkarte? Findest du alles? Und schau doch auch nach, ob das Elefantenkind das Richtige zur Kasse bringt. Dieses etwas andere Bildwörterbuch erweitert spielerisch den Wortschatz und fördert gleichzeitig Konzentration und Wahrnehmung. Und wer sich dann in der Buchhandlung bestens auskennt, kann sich danach noch im Supermarkt, in der Bäckerei oder auf dem Wochenmarkt umschauen. Ab 2 Jahren.
Susanne Weber – Der kleine Müffelbüffel
Oetinger
8,00 €
Der kleine Büffel mochte es ganz und gar nicht nass zu sein. Deswegen war ihm auch der Schmutz in seinem struppigen Fell egal. Hauptsache er bekam kein Wasser an Kopf und Hals und Waden. Aber mittlerweile nahmen schon seine Freunde Reißaus und wollten nicht mehr mit ihm spielen. Dann fing auch seine Büffelmama damit an. Müffelbüffel nannte sie ihn und meinte, er muss dringend baden gehen. Das gefällt dem kleinen Müffelbüffel so gar nicht. Aber Mama hatte eine Idee und wer weiß, vielleicht kann baden ja sogar Spaß machen? Für alle kleinen Müffelbüffel ab 2 Jahren, denen das Baden ein wenig schmackhafter gemacht werden soll.
Leif Randt – Allegro Pastell
Kiepenheuer & Witsch
22,00 €, E-Book 18,99 €
Schon wenn man das Buch in die Hand nimmt, bekommt man eine erste Ahnung davon, was hier passiert. Es fasst sich gut an, die Oberfläche schmeichelt den Händen, teilweise griffig, stellenweise glatt. Autor und Titel sind in goldenen Lettern in den Deckel geprägt. Es sieht schön aus. Und es riecht gut.
Auch Tanja und Jerome, den beiden Protagonisten, die sich in „Germany’s next Lovestory“ verstricken, legen viel Wert auf Oberfläche, darauf sich gut anzufassen, gut auszusehen und gut zu riechen. Insgesamt etwas herzumachen. Etwas darzustellen.
Bei all der Äußerlichkeit, bei all der Oberfläche, die hier präsentiert wird, bleibt der Roman aber nicht stehen. Er ist in zweifacher Hinsicht Zeitdokument: einmal insofern er – in bester Tradition der Popliteratur – als kulturelles Archiv fungiert (welche Schuhe man trägt, welche Designerstücke man sich als gut gemachtes Knock-Off anschafft, welchen Sport man macht, welche Clubs, welche Restaurants, welche Drogen gerade so noch nicht ‚zu angesagt‘ sind, um sich mit ihnen den Anstrich einer distinguierten Individualität zu verleihen). Zum anderen, indem er ein zentrales Lebensgefühl – nicht unbedingt nur eines bestimmten Milieus, sondern der modernen Gesellschaft insgesamt – vorführt. Das Gefühl, das eigene Leben zu kuratieren, Authentizität nicht zu empfinden, sondern herzustellen.
Die Geschichte, der Plot, ist an dieser Stelle egal. Sie können ihn im Klappentext und auch sonst überall nachlesen. Interessant ist, was sich entlang der Geschichte, bei der Beobachtung der Protagonisten entspinnt. Und was es mit uns als Leserinnen macht. Oder auch nicht.
Téa Obreht – Herzland
Rowohlt
24,00 €, E-Book 19,99 €
Der Südwesten der USA im ausgehenden 19. Jahrhundert – endlose Weite, sengende Hitze und zwei Schicksalsgeschichten.
Zum einen wird ein Tag im Leben von Nora Lark geschildert, die auf ihrer Farm mit der Dürre zu kämpfen hat. Das Trinkwasser neigt sich dem Ende zu und ihr Mann ist schon seit Tagen unterwegs um neues zu organisieren. Der kleine Toby spricht nur noch von einem Monster, das nachts um die Farm herumstreunt und schließlich sind auch noch die beiden großen Söhne verschwunden…
Zum anderen verfolgen wir Lurie, der als Kind mit seinem Vater aus dem osmanischen Reich einwandert, diesen jedoch früh verliert und sich über kleine Gaunereien zum verfolgten Outlaw entwickelt. Zuflucht findet er im U.S. Camel Corps, wo er sich nicht nur mit einigen Kameltreibern anfreundet, sondern auch mit Burke, dem Kamel, mit dem er für den Rest seines Lebens eng verbunden sein wird.
Ein Westernroman aus der Perspektive eines migrierten Kameltreibers und einer selbstbewussten Frau, die sich nicht nur für ihre Familie, sondern auch für ihre Siedlung einsetzt, hat etwas Erfrischendes, auch wenn einem beim Lesen die omnipräsente Hitze den Mund trocken werden lässt. Hervorzuheben ist außerdem die lebendige und klar konturierende Sprache des Romans, die durch die Erzählweise im Stil des magischen Realismus noch um einen feinsinnigen Zauber erweitert wird.
Juri Buida – Nulluhrzug
Aufbau
18,00 €, E-Book 13,99 €
Nach über vierzig Jahren verlassen die Menschen die Bahnstation, die Neunte. Eine von vielen Stationen, irgendwo im Nirgendwo der Sowjetunion, gebaut nur für diesen einen Zug: den Nulluhrzug. Reibungslos muss er alle Stationen passieren können. Deshalb gibt es: „Gleise, Schwellen, Ausweichstellen wie unsere, Kohlebunker, Güterschuppen, Reparaturwerkstätten, Brücken, Holzeinschläge, Schwellenimprägnierung, Wasser, Kohle und schließlich Menschen – wie wir beide.“ Iwan Ardabjew ist einer der Menschen, deren Leben untrennbar mit dem Zug verbunden war. Als alle gehen, ist er der Einzige, der bleibt, kann sich nicht lösen vom Ort, vom Zug. Was hat er transportiert?
Juri Buida hat einen bewegenden Roman geschrieben über Menschen, die arbeiten, leben und lieben trotz oder wegen des geheimnisvollen Nulluhrzuges.
Stefanie Höfler – Helsin Apfelsin
Beltz & Gelberg
12,95 €, E-Book 11,99 €
Alle aus der Zwergen-Klasse kennen Helsins Problem. Eigentlich ist sie ein immer gut gelauntes Mädchen, aber wenn ihr einmal etwas gegen den Strich geht, dann bekommt sie einen sogenannten „Spinner“ – einen Wutanfall. Und genau so beginnt der Tag, an dem der Neue der Klasse vorgestellt wird. Es ist nur ein Flüstern, welches dieser Louis von sich gibt, als er Helsins Namen hört: „Helsin, Apelsin, Apfelsine“. Und schon ist es zu spät und der „Spinner“ ist da und kurz darauf tropft Blut aus Louis‘ Nase. Aber er sagt keinen Mucks. Auch ihre Hand, die sie ihm zur Entschuldigung reicht, ignoriert er. Sie findet ihn einfach nur bescheuert und erst Recht, als er auch noch ein Geheimnis hat, das alle anderen Zwerge wissen, nur sie nicht. Aber dann kommt die Gelegenheit und sie klaut ihm einfach seinen Leguan, aber ob das so eine gute Idee war? Wie kommt Helsin da bloß wieder raus?
Stefanie Höfler erzählt auf kluge und liebevolle Weise von Eifersucht und Freundschaft, Rache und Ehrlichkeit und anderen wichtigen Alltagsthemen und bedient sich einer sehr bildhaften intensiven Sprache. Jeder kann es fühlen, wenn sich das Glück wie ein warmer Pudding im Magen ausbreitet. Ein tolles Buch voller Emotionen für Zwerge und Kinder ab 8 Jahren.
Mariam Kühsel-Hussaini – Tschudi
Rowohlt
24,00 €, E-Book 19,99 €
Hugo von Tschudi – nur wenigen wird dieser Name ein Begriff sein. Umso wichtiger, dass Mariam Kühsel-Hussaini diesen farbenprächtigen biographischen Roman vorgelegt hat. Erzählt wird von Tschudis Aufenthalt als Direktor der deutschen Nationalgalerie in Berlin im ausgehenden 19. Jahrhundert. Mit seinem Enthusiasmus und Engagement für die modernen französischen Künstler macht er sich nicht nur Freunde in der Berliner Kunstwelt. Dass deutsche, realistische Künstler in der Nationalgalerie nun diesen impressionistischen Klecksereien weichen müssen, stößt bei einigen auf äußerstes Unverständnis – allen voran bei Anton von Werner, dem Lieblingsmaler des Kaisers. Doch es gibt nicht nur Positionen gegen Tschudis zukunftsweisende Perspektive: sein guter Freund Max Liebermann sowie einige andere Künstler und Mäzene stehen weiterhin auf seiner Seite. Neben diesen brodelnden Ereignissen und der lebhaften Stimmung in den Galerien, Salons und Bars von Berlin um die Jahrhundertwende, ist es auch die Person des Hugo von Tschudi, die sich dem Lesenden einprägt. Ein Riese, dessen Gesicht nach und nach von der Wolfskrankheit zerfressen wird, dessen Blick so kraftvoll und einnehmend ist, dass ihm niemand widerstehen kann und zugleich so feinsinnig, dass seine Bildbeschreibungen einem das Herz aufgehen lassen.
Berit Glanz – Pixeltänzer
Schöffling & Co.
20,00 €, E-Book 15,99 €
Sie sind jung, ausgesprochen technikaffin und leistungsorientiert. Arbeiten als Software-Entwickler oder Tester. Die Berliner Startup-Szene bildet die Folie vor der sich die Geschichte von Elisabeth (die alle nur Beta nennen) entspinnt. Für sie bleibt in der effizienten durchgestylten Welt mit dynamischem Projektmanagement und Gamification des Arbeitsumfelds ein blinder Fleck. Sie beherrscht die Codes, sie passt in diese Welt aber es bleibt ein inkommensurabler Rest. Zufällig lernt sie über eine App am anderen Ende der Welt Toboggan kennen, mit dem sich ein Spiel aus Rätseln und Verweisen entwickelt, das sie auf die Fährte eines 20er-Jahre-Künstlerpaares setzt. Sie ist fasziniert und geht den Spuren im Netz sowie in der „realen Welt“ nach. Immer wieder stellt sich dabei die Frage, inwieweit es die wirkliche Welt braucht, um wirkliche Erfahrungen zu machen.
Isabel Sánchez Vegara – Litte People, Big Dreams: Hannah Arendt
Insel Verlag
13,95 €
Es ist insgesamt eine wunderschöne Reihe, die der Insel-Verlag da neu aufgelegt hat. Unter dem Titel Little People, Big Dreams widmet man sich in liebevoll illustrierten Bilderbüchern den Leben – und insbesondere dem Aufwachsen – berühmter Persönlichkeiten. Auf inspirierende Weise wird die Geschichte der jeweiligen Person erzählt, so dass sie jungen Leser_innen zum Vorbild werden können. Etwa wie die jugendliche Hannah sich gegen die Beleidigungen wehrt, mit denen sie sich durch einen Lehrer konfrontiert sieht und wie sie anschließend – nachdem sie der Schule verwiesen wurde – ihr Abitur auf eigene Faust meistert.
Positiv hervorzuheben gilt es auch die Auswahl der Personen, denn im Gegensatz zu vielen anderen Sammlungen großer Persönlichkeiten hat die Autorin ganz offensichtlich keine Schwierigkeiten gehabt, weibliche Protagonistinnen zu finden – ist ja auch eigentlich nicht so schwierig. Davon abgesehen ist es aber auch einfach eine schöne diverse Mischung von Jane Austen über Rosa Parks bis David Bowie.
Markus Orths – Luftpiraten
Ueberreuter
14,95 €
Sie haben aschgraue Haut, immer schlechte Laune, streiten ständig und sind auf Krawall gebürstet. Die Luftpiraten leben zwischen den Wolken in Luftlöchern. In ihren Streitkräutergärten wachsen Wutschnauberich und Zorndornen. Ihre Kinder lernen Brüllen und Hässlich-Lachen.
Adiaba ist einer der berühmtesten Lehrer an der Johann-Sebastian-Krach-Schule. Und ausgerechnet Adiaba erhält per Post, so werden die Kinder in Ätheria geliefert, einen kleinen weißen Luftpiraten. Zwolle ist sanftmütig und friedfertig. Er mag nicht zanken und streiten. Adiaba schließt den Kleinen in sein Herz und merkt, wie das Kind ihn verändert, seine Welt auf den Kopf stellt. Denn eigentlich müsste er sich von Zwolle trennen und ihn der Obrigkeit übergeben.
Markus Orths ist ein fantasievolles und spannendes Buch für Kinder ab 10 Jahren gelungen. Seine eigenen Jungs waren natürlich Testleser.
Emma Thompson – Peter Hase. Ein turbulentes Abenteuer
annette betz
8,95 €
Da ist endlich mal ein Jahrmarkt im Dorf und das Abenteuer ruft, aber nein: Peter Hase und Benjamin Kaninchen dürfen nicht hin, weil es dort nur von Taugenichtsen und Strolchen wimmeln soll. Stattdessen sollen sie zu Cousin Lupin, um dort beim Heidelbeeren pflücken zu helfen – wie langweilig. Aber vielleicht kann man ja einen kleinen Umweg gehen und ganz zufällig am Jahrmarkt vorbeikommen. Das ist schließlich nicht dasselbe wie dorthin zu gehen. Gesagt getan und schon stecken die beiden Langohren im großen bunten Treiben. Was sie wohl erleben werden und ob sie unentdeckt bleiben?
Dieses kleine Hasenabenteuer trifft den Geist der alten Geschichten von Peter-Hase-Erfinderin Beatrix Potter und wird von Emma Thompson meisterhaft erzählt. Die kleine Sonderausgabe passt übrigens auch perfekt in jedes kleine Osternest. Ab 4 Jahre.
Liz Moore – Long Bright River
C.H. Beck
24,00 €, E-Book 16,99 €
Dieser bewegende Roman erzählt die Geschichte der Schwestern Mickey und Kacey. Seit fünf Jahren haben die beiden nicht mehr miteinander gesprochen. Aber Mickey, die Polizistin, wusste immer, wo ihre Schwester gerade war. Die drogenabhängige Kacey muss anschaffen gehen, um ihre Sucht zu finanzieren. Dann ist sie verschwunden und gleichzeitig häufen sich die Morde an jungen Prostituierten.
In ihrer Kindheit waren die Schwestern unzertrennlich. Aufgewachsen bei der strengen und kühlen Großmutter gaben sich die beiden Halt und Liebe. Mickey kann sich noch an die Mutter erinnern. Es sind wenige, aber schöne Erinnerungen, die ihr Kraft geben. Kacey dagegen ist immer auf der Suche, findet die falschen Freunde, bringt nichts zu Ende und rutscht immer tiefer in ihre Sucht.
Liz Moore ist ein Roman gelungen, den man als Krimi lesen kann, aber er ist viel mehr: eine ergreifende Familiengeschichte und das Porträt unserer Gesellschaft.